Votive - Wachs, Kerzen


EMK/4/t015
Votivgaben werden in der Hoffnung gestiftet, die daran geknüpften Wünsche mögen in Erfüllung gehen (Bittvotiv). Sind diese bereits eingetroffen, wird das damit verknüpfte Gelübde durch das Darbringen eines Exvoto erfüllt (Dankvotiv). Theoretisch kann jeder Gegenstand als Votivgabe dargebracht werden. Durch die Votation werden Dinge des täglichen Lebens zur Weihgabe. Materiell vielleicht wertlos, spielen sie im Leben des Individuums eine besondere Rolle.

In Zypern ist das Darbringen von Alltagsgegenständen wie Hirtenstäben, Teilen des Webstuhls, Hochzeitskränzen, Kleidungsstücken, Schmuckstücken und vielen anderen bekannt. Speziell für eine Votation hergestellt werden Votive (el-cy: Sg. tama // tr-cy: Sg. adak hediyesi) aus Wachs und Edelmetallen, maschinell erzeugte werden aus Griechenland importiert. In den Votiven finden alle das Leben betreffenden Belange Niederschlag. Eine Gruppe stellt alles mit dem Menschen und dessen Gesundheit und Wohlbefinden in Zusammenhang Stehende dar: sämtliche Gliedmaßen und Organe des menschlichen Körpers, ganze Figuren vom Säugling bis zum Greis, auch Gebrechen wie beispielsweise Knochenbrüche. In einer weiteren Gruppe finden sich Gegenstände aus allen Lebensbereichen: Häuser, Tiere, Autos, Schiffe, Hochzeitskränze, Gewehre, Dolche etc. Bei Metallvotiven finden wir auch schriftliche Dankesbezeugungen, da sich diese hier materiell gut umsetzen lassen.

Die Weihgaben werden in die sakralen Stätten gebracht, wo sie an den die Ikonen verhängenden Tüchern festgesteckt, an für diesen Zweck gespannten Schnüren oder angebrachten Stangen aufgehängt oder einfach nur abgelegt werden. Dort verbleiben sie einen bestimmten Zeitraum und werden schließlich von den Kirchen zurück an Kerzenzieher und Gold- und Silberschmiede verkauft. Diese schmelzen die Weihgaben ein oder frischen sie auf und verkaufen sie neuerlich. Manche der Votive, das ist vor allem bei der Repräsentation innerer Organe zu beobachten, lassen kein eindeutiges Erkennen des ursprünglich Intendierten zu und so ist es dem Silberschmied und dem Kerzenzieher bzw. dem Käufer überlassen, wie sie diese interpretieren (z. B. EMK/5.201).

Die in Zypern produzierten Wachsvotive sind im Gebiet der Griechischen Orthodoxie, die keine rund- und vollplastischen figürlichen Darstellungen kennt, einzigartig. Zwar sind aus Wachs hergestellte Weihgaben noch für Zakynthos belegt, diese sind aber bedeutend kleiner und weniger vielfältig. In Zypern stellt der Wachszieher (el-cy: dscheroullas) neben Kirchenkerzen (el-cy: Sg. dscheri // tr-cy: Sg. mum) auch Votive her. Früher wurde Bienenwachs verarbeitet, doch schon im Zeitraum des Sammelns Anfang der 1990er-Jahre überwog künstliches, eingefärbtes Wachs. Aus Bienenwachs wurden gelegentlich Kirchenkerzen gezogen.
Votive werden von Hand geformt - die Plastizität des Materials ermöglicht eine naturnahe Formgebung menschlicher Organe - oder in Modeln gegossen. Figürliche Darstellungen können eine Kombination aus beiden Formgebungsprozessen sein: so wird etwa der Körper gegossen, während die Arme anmodelliert sind (EMK/5.258). Model für den Körper werden mit Hilfe einer Puppe, deren Arme entfernt sind, hergestellt; Handvotive in Gummihandschuhe gegossen (EMK/5.228). Bezüglich der Formgebung von Votiven, die menschliche Organe wiedergeben, zeigt sich, dass diese tierischen Innereien entsprechen können, deren Beschaffenheit - im Unterschied zu humanmedizinischen Erkenntnissen - Teil der Alltagserfahrung (Hausschlachtung) war (EMK/5.243). Als Augen werden Schwarzaugenbohnen eingearbeitet (z. B. EMK/5.249, EMK/5.258) bzw. Reißnägel in das fertige Votiv gedrückt. Während des Modellierens und Tunkens werden Dochtstränge in das Wachs eingearbeitet und ragen als Schlaufe vor, an der die Weihgaben aufgehängt werden.
Die Kerzenzieher verkaufen ihre Erzeugnisse in einem den Arbeitsräumen angeschlossenen Verkaufsraum. Dort warten Kirchenkerzen in unterschiedlichsten Größen und die gängigsten Wachsvotive (Kopf, Hand, Fuß, Auge, Baby etc.) auf die Kundschaft. Auf Bestellung werden Kerzen und Votive jedweder Art, bis zur Größe und dem Gewicht des Votanten, hergestellt.

Bemerkenswert ist, dass auch muslimische Zyprioten Wachsvotive an griechisch-orthodoxen Stätten, dokumentiert sind die Kirche St. Theklis in Limassol und das Kloster Apostolos Andreas, dargebracht haben. Bis heute besuchen sie dieses im äußersten Osten gelegene Kloster, und zünden dort in der Hoffnung, ihnen möge göttliche Gunst widerfahren, Kerzen an.

Von den Anfang der 1990er-Jahre besuchten Wachsziehereien sind noch alle bis auf jene von Sofoklis Dimitriou, der vor Jahren seine Arbeit niederlegte, aktiv. Der Kerzenzieher Petros Pitsillidis, von dem einige Votive in der Sammlung Krpata sind, hat in der Zwischenzeit mit seiner 3 m hohen und 300 kg schweren, selbststehenden Kerze einen Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde erlangt. Sein Unternehmen I Melissa (Die Biene) betreibt eine Facebook-Seite. Andere Betriebe sind mit Webshops präsent und sogar Unternehmen in Griechenland haben vereinzelt Wachsvotive im Angebot.

Informationen über die Herstellung und Verwendung von Votiven Anfang der 1960er-Jahre verdanken wir Rudolf Kriss und Hubert Kriss-Heinrich, die Zypern bereisten, um das Wallfahrtswesen zu erforschen. Unter den von ihnen gesammelten, dem Bayerischen Nationalmuseum in München überlassenen Votiven, befinden sich 55 aus Wachs.



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CC BY-NC-SA für alle Abbildungen Volkskundemuseum Wien / Foto: Christa Knott; alle anderen Abbildungen siehe Copyright-Angabe oben
Weiterführende Informationen
Literatur klassisch
Antoniadis, Sokratis T. / Αντωνιάδης, Σωκράτης Τ.: Παλαιοί τεχνίτες της Λάρνακας [Alte Handwerker aus Larnaka]. Larnaka 2018, hier S. 107-112.

Caubet, Annie: Quelques coutumes religieuses chypro-archaïques à la lumière de leur survivance en milieu traditionnel. In: Yvonne de Sike (Hg.): Chypre. La vie quotidienne de l'antiquité à nos jours. Paris 1985, S. 115-118.

Ionas, Ioannis / Ιωνάς, Ιωάννης: Παραδοσιακά επαγγέλματα της Κύπρου [Traditionelle Berufe Zyperns]. Nikosia 2001 (= Δημοσιεύματα του Κέντρου Επιστημονικών Ερευνών 37), hier S. 541-544.

Kriss, Rudolf & Hubert Kriss-Heinrich: Peregrinatio Neohellenika. Wallfahrtswanderungen im heutigen Griechenland und in Unteritalien. Wien 1955, hier S. 57, 63-66, 93-95.

Kriss, Rudolf & Hubert Kriss-Heinrich: Beiträge zum religiösen Volksleben auf der Insel Cypern mit besonderer Berücksichtigung des Wallfahrtswesens. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 12/1961, S. 135-210.

Krpata, Margit: Die Sammlungen zypriotischer Ethnographica in den Museen des deutschsprachigen Raums. Eine Bestandsaufnahme im Licht der ethnographischen Praxis. (Dissertation). Wien 2002, hier S. 100-109, 158-161.

Papadimitriou, Eleni / Παπαδηµητρίου, Ελένη: Λαϊκή ζωγραφική, εγχάραξη και γλυπτική [Volksmalerei, Schnitzerei und Bildhauerei]. Nikosia 2010, hier S. 65.

Bild-/Filmmaterial außerhalb Zyperns
Stockholm - Medelhavsmuseet: dargebrachte Wachsvotive in einer Kirche (JL352)

Bologna - Universität Bologna: dargebrachte Wachsvotive in Geroskipou/Agia Paraksevi

Ausstellung
Aarhus - Moesgaard Museum: The presence of absence: Art, anthropology and archaeology, 2017-2018

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