Geteilte Erinnerungen. Vertriebene und Verbliebene Erzählen

Tschechoslowakei, Nationalsozialismus und die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung 1937-1948: Lebensgeschichtliche Videointerviews, die in Österreich, Tschechien und der Slowakei geführt wurden, dokumentieren Erinnerungen an diese Geschichte bis in die Gegenwart.

Die Ausstellung

Die Online-Ausstellung folgt den Ereignissen zwischen 1937 und 1948 in den Erzählungen und Erinnerungen von Menschen, die heute in Österreich, Tschechien und der Slowakei leben.

Im Zentrum stehen die Auswirkungen der „großen“ Geschichte des mitteleuropäischen Raumes im Leben einzelner Menschen: ihre Erfahrungen und Erlebnisse, ihre Perspektiven und die Entscheidungsspielräume, die ihnen unter den totalitären und kriegsbedingten Verhältnissen blieben.

In den Jahren 2014-2015 wurden 37 Video-Interviews in den drei Partnerländern geführt und unter diesen Gesichtspunkten thematisch geschnitten. Die Online-Ausstellung folgt weitgehend der physischen Ausstellung, die 2016-2019 in zahlreichen Städten der drei Partnerländer und Deutschlands gezeigt wurde.

Gesamtleitung: Georg Traska (Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, ÖAW)
Projektleitung Tschechien: Tereza Vávrová (Antikomplex, z.s.)
Projektleitung Slowakei: Andrej Čierny (Antikomplex.sk)

InterviewerInnen: Georg Traska, Tereza Vávrová, Andrej Čierny, Kristýna Hlavatá
Kamera: Štěpán Pech, Ursula Henzl, Paulina Durinová, Zuzana Kallová, Marek Durdiak, Georg Traska
Schnitt: Georg Traska, Tereza Vávrová, Štepán Pech, Ursula Henzl, Andrej Čierny
Postproduktion: Štepán Pech (Video), Stanislav Kejval (Ton)
Untertitel: Zuzana Brejcha, Katarina Csanyiova, Irena Dudová, Tomáš Fridrich, Maja Konstantinović, Karolína Kousalová, Alena Novosadová, Marco Nyvlt, Andrea Ozabalova

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Literaturhinweis zum Thema:
Neulich rief Paul Lendvai an, den wir sehr schätzen. Er hatte unsere Online Ausstellung besucht und gab uns einen Hinweis auf ein neues Buch, den wir hiermit gerne teilen: Judit Kováts, Heimatlos, 430 Seiten, Wien, Nischen Verlag, 2020
www.nischenverlag.at


Die Video-Untertitel sind rechts unten in der Menüleiste des Youtube-Players einzuschalten.

Volkskundemuseum Wien
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Di, ab 17.00 Uhr


Eintritt
frei im ganzen Museum


© Georg Traska (ÖAW)

Nachbarschaft und Freundschaft

Die Nachbarschaft ist die kleinste Einheit des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
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© Georg Traska (ÖAW)

Zwischen Identitäten

In der Ersten Tschechoslowakischen Republik von 1918 bis 1938 wurden die Nationalitäten in Volkszählungen ermittelt.
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© Georg Traska (ÖAW)

Die Zeit des Nationalsozialismus

Nach zunehmenden nationalen Konflikten zerstörte die nationalsozialistische Ideologie das Zusammenleben gleicher Bürger.
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Kriegsende

Nachdem die Nationalsozialisten bis zum letzten Augenblick des Krieges Schrecken und Gewalt verbreiteten, kehrten sich die Verhältnisse schlagartig um.
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Vertreibung und Zwangsarbeit

Als die Tschechoslowakei mit der Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen begann, waren Zwangsumsiedlungen in Europa bereits zu einem gängigen politischen Mittel geworden.
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© Georg Traska (ÖAW)

Bleiben und Gehen in Böhmen und Mähren

Von etwa drei Millionen „deutschen“ Bürgern der ehemaligen Tschechoslowakei, die zu Kriegsende hier lebten, wurden 240.000 nicht ausgesiedelt.
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© Georg Traska (ÖAW)

Das verlorene Haus und das bewahrte Heim

Für die Vertriebenen und für viele „Deutsche“, die im Land bleiben konnten, war der erste und einprägsamste Schock jener, aus dem eigenen Haus hinausgeworfen zu werden und darin alles oder fast alles zurücklassen zu müssen.
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© Georg Traska (ÖAW)

Die Kulturlandschaft der Grenzgebiete

An der Kulturlandschaft – als der vom Menschen geformten, gepflegten und bewirtschafteten Natur – sind der historische Bruch und der Verlust, der mit der Aussiedlung der „Deutschen“ einherging, besonders deutlich zu sehen.
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© Georg Traska (ÖAW)

Ankommen

Ankommen nach einer Flucht oder Vertreibung bedeutet, nach einem tief gehenden Verlust in einem neuen Umfeld auf andere angewiesen zu sein.
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© Georg Traska (ÖAW)

Rückkehr und Erinnerung

Die Rückkehr unterbricht den kontinuierlichen Zeitfluss der Erinnerung an die verlorene Heimat und Herkunft.
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© Georg Traska (ÖAW)

Das Erbe der Geschichte

Der historische Diskurs war in der Tschechoslowakei lange von einem kommunistischen Narrativ kontrolliert, das die Vertreibung und Aussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung als legitim und notwendig rechtfertigte...
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© Georg Traska (ÖAW)

Brno/Brünn

Rund 20% der Brünner Bevölkerung gaben bei der Volkszählung 1930 die deutsche Nationalität an.
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© Georg Traska (ÖAW)

Pozsony–Pressburg–Bratislava. Das Ende einer multiethnischen Stadt

Pressburg/Bratislava/Pozsony – oder auch „Prešporok“ – war eine dreisprachige, multiethnische und multikonfessionelle Stadt, die sich an ihrer eigenen Vielfalt erfreute. Davon erzählen alle InterviewpartnerInnen dieses Projekts.
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© Georg Traska (ÖAW)

Slowakischer Nationalaufstand, Evakuierung der „Deutschen“ und Rückkehr

Der Slowakische Nationalaufstand erhob sich im August und dauerte bis Oktober 1944.
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© Georg Traska (ÖAW)

Die jüdische Erfahrung

Juden und Jüdinnen waren neben den ebenfalls rassistisch verfolgten Roma und Sinti die Gruppe, die am schlimmsten unter den Nationalsozialisten zu leiden hatte.
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Video-Portraits

© Georg Traska (ÖAW)

Video-Portraits

von den 37 InterviewpartnerInnen des Projekts
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Projekthintergrund

„Bringing Together Divided Memory“ ist der Titel eines EU-geförderten Projekts, das historische Perspektiven zum Thema „Nationalsozialismus und Vertreibung“ aus Österreich, der Tschechischen Republik und der Slowakei in einer gemeinsamen zentraleuropäischen Erzählung vereint. Das Projekt basiert auf biografischen Video-Interviews, führt die persönlichen Erzählungen und Erinnerungen in einer dreisprachigen Darstellung zusammen und möchte auf diese Weise national begrenzte Narrative dekonstruieren. Es fokussiert den gegenwärtig durch Oral History fassbaren Zeitraum: die späten 1930er Jahre mit den zunehmenden nationalen Spannungen und der „Sudetendeutschen Krise“, die Zerstörung des tschechoslowakischen Staates durch den deutschen Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg, die Aussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei 1945/46 bis zur Schließung des Eisernen Vorhanges durch die kommunistische Machtübernahme im Februar 1948. Die Nach- und Erinnerungsgeschichte dieser Vorgänge reicht bis in die Gegenwart.

Die Ermittlung der Interviewpartner erfolgte in erster Linie über Anfragen in sozialen Medien oder über berufliche und private E-Mail-Verteiler. Auf diese Weise konnten viele Menschen erreicht werden, die noch nie über die betreffende historische Erfahrung interviewt wurden. Die Recherche über Institutionen wie etwa Vertriebenenorganisationen hat den Nachteil, dass häufig „erprobte“ Interviewpartner vermittelt werden und dass diese in höherem Grad bestimmten kollektiven Narrativen folgen, die über Jahrzehnte in den Institutionen ausgebildet wurden.
Ein besonderes Kriterium in der Recherche waren entsprechend dem transnationalen Fokus des Projekts komplexe Biografien, die dem nationalen Entweder-Oder widersprechen: etwa die Biografien von Menschen aus deutsch-tschechisch oder deutsch-slowakisch(-ungarisch) gemischten Familien und von mehrsprachig aufgewachsenen Menschen, von deutschsprachigen Nazigegnern oder primär deutschsprachig sozialisierten Jüdinnen und Juden, die von den Nazis verfolgt und, wenn sie überlebten, nach 1945 häufig wieder wegen ihrer Deutschsprachigkeit diskriminiert wurden. Deutlich „national“ geprägte Erzählungen fanden ebenfalls ihren Platz im Projekt – als Selbstzeugnis einer einstigen Überzeugung oder in weitgehend ungebrochener Fortdauer der historisch eingenommenen Position bis in die Gegenwart.

In Bezug auf das Gesamtprojekt wurde eine möglichst große Vielfalt der historisch-biografischen Erfahrungsperspektiven angestrebt, um darin die Erkenntnismöglichkeiten und Handlungspotentiale deutlich zu machen, über die die Menschen im Geschichtsverlauf – auch unter totalitären oder kriegsbedingten Verhältnissen – sowie in ihrer biografisch-historischen Reflexion verfügten. Allgemeiner formuliert, zeichnet sich so – als das besondere Potential der Oral History – die Mannigfaltigkeit der Mikrogeschichten im Verhältnis zur politischen Makrogeschichte ab.


Der historische Hintergrund

Bei ihrer Entstehung im Jahr 1918 erbte die Tschechoslowakei die ethnische Vielfalt der Donaumonarchie. 1921 wurden 8,8 Millionen Tschechen und Slowaken gezählt, 3,2 Millionen Deutsche, 0,7 Millionen Magyaren, eine halbe Million Russen, Ukrainer und Karpatorussen, knapp 200.000 Juden, 100.000 Polen und noch weitere kleinere Gruppen.
Die Konzeption des Staates schwankte zwischen einem Vielvölkerstaat nach dem Vorbild der Schweiz und einem Nationalstaat, in dem nationale Minderheiten neben dem tschechoslowakischen „Staatsvolk“ lebten. Jedenfalls war die Tschechoslowakei eine funktionstüchtige parlamentarische Demokratie mit gleichen Bürgerrechten aller BewohnerInnen und weitreichenden Minderheitenrechten. Eine vollständige Gleichberechtigung ließ sie allerdings ebenso vermissen wie eine politische Gleichbehandlung aller Regionen durch die Prager Regierung.

Wie zahlreiche Staaten Zentraleuropas der Zwischenkriegszeit, litt auch die Tschechoslowakei unter Spannungen zwischen den Volks- und Sprachgruppen, wobei sich diese Spannungen in Grenzen hielten, solange sie im demokratischen Rahmen ausgetragen wurden. Die nationale Agitation rief, vor allem in den mehrsprachigen Städten, auch einen positiven Wettbewerb bei der Gründung von Kultur- und Bildungsinstitutionen hervor.

Die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre wirkte sich in den Industriezweigen der mehrheitlich deutschsprachigen Grenzgebiete des Landes stärker aus als im Binnenland. Die tschechoslowakische Zentralregierung strengte sich wenig an, dieses Gefälle auszugleichen, was die separatistische Sudetendeutsche Partei (SdP) unter Konrad Henlein stärkte und die „aktivistisch“ (auf Zusammenarbeit innerhalb des tschechoslowakischen Staates) ausgerichteten Parteien schwächte. Bei den Parlamentswahlen 1935 wurde die SdP mit 68% stärkste Kraft in den Grenzgebieten. Sie orientierte sich immer stärker an der NSDAP, wurde von Deutschland finanziell unterstützt und übte zunehmend Druck auf die deutschsprachigen BewohnerInnen der Grenzgebiete aus. Als sie 1937 bei den Kommunalwahlen in den Grenzgebieten 90% der Stimmen gewann, war sie zur „Fünften Kolonne Hitlers“ geworden: zu einem Instrument, das den tschechoslowakischen Staat zerbrechen sollte.

Beim „Münchner Abkommen“ im September 1938 stimmten die maßgeblichen europäischen Staaten Frankreich, England und Italien – ohne Beteiligung von tschechoslowakischen Vertretern – dem Anschluss der deutschsprachigen Grenzgebiete an das Deutsche Reich zu. Was dem europäischen Frieden dienen sollte, lieferte die Tschechoslowakei der NS-Expansionspolitik aus und führte ein halbes Jahr später zur völligen Zerstörung des Staates. Hitler annektierte die verbliebenen tschechischen Gebiete als „Protektorat Böhmen und Mähren“. Die Slowakei spaltete sich als selbständiger faschistischer Staat von Hitlers Gnaden ab.

Edvard Beneš errichtete in London eine tschechoslowakische Exilregierung, die die gesamte NS-Zeit hindurch an der zukünftigen Wiedererrichtung des Staates arbeitete. Nach den Erfahrungen von 1938/39 plante Beneš von Anbeginn eine Schwächung des deutschen Einflusses im zukünftigen Staat, wobei die numerische Reduktion der knapp 3,5 Millionen Deutschen in der Tschechoslowakei nach den ersten Plänen zu einem Gutteil durch Gebietsabtretungen zustande kommen sollte. Im Kriegsverlauf und mit zunehmender Erbitterung über die NS-Schreckensherrschaft wandelte sich die Rücknahme des Münchner Abkommens immer mehr in Richtung möglichst vollständiger Vertreibung ohne Gebietsabtretungen. Beneš fand dafür nicht ungeteilte, aber zunehmende Unterstützung vonseiten der Alliierten, am deutlichsten vonseiten der Sowjetunion. Dass sich der national-bürgerliche Politiker Beneš auf diesen Machtfaktor für die zukünftige Vertreibung stützte, trug zu seinem eigenen Sturz und zum kommunistischen Staatsstreich im Februar 1948 bei.

Die Vertreibung und Aussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung fand in zwei Etappen statt:
1. in den „wilden“, gleichwohl politisch organisierten Vertreibungen von etwa 800.000 „Deutschen“ unmittelbar nach Kriegsende, die Tausende Tote forderten;
2. in der von der Potsdamer Konferenz im August 1945 sanktionierten Aussiedlung von etwa 2,2 Millionen Menschen.
240.000 „Deutsche“ verblieben in der Tschechoslowakei, von denen ein großer Teil in mehreren Phasen emigrierte (bis 1948 und 1968).

In der Slowakei verlief dieser gesamte historische Abschnitt deutlich anders. Die „Karpatendeutschen“ bildeten hier eine numerisch weit schwächere Gruppe als die Deutschmährer und -böhmen. Es gab keine durchgehend deutsch besiedelten Grenzgebiete. Die meisten Deutschen lebten in der multiethnischen Stadt Bratislava/Pressburg und in den beiden Sprachinseln Zips und Hauerland, deren Bevölkerung ebenfalls sprachlich, ethnisch und konfessionell stark durchmischt war.
In dem 1939 gegründeten unabhängigen klerikal-faschistischen Staat war das Zusammenleben zwischen Deutschen und Slowaken vorerst weitgehend ungestört. Tschechen mussten teilweise das Land verlassen. Juden und Jüdinnen wurden radikal verfolgt, deportiert und in den deutschen Vernichtungslagern ermordet.

Erst im Slowakischen Nationalaufstand 1944 und vonseiten der in- und ausländischen Partisanenbewegung gab es massiven Widerstand gegen das faschistische Regime und dessen nationalsozialistisch orientierte Politik – und dabei auch Ausschreitungen gegen deutschsprachige Ortschaften. Der Nationalaufstand, dem sich neben Partisanen beachtliche Teile der slowakischen Armee angeschlossen hatten, sollte das Land im Osten der näher rückenden Front öffnen und in der Folge einen politischen Umschwung herbeiführen. Er misslang und wurde vom deutschen Militär, das seinerseits Verbrechen an der slowakischen Zivilbevölkerung verübte, blutig niedergeschlagen. Für die deutschsprachige Zivilbevölkerung, die insgesamt weit weniger deutsch-national geprägt war als die böhmische und mährische, verschlechterten sich die Lebensbedingungen. Nach dem Nationalaufstand und angesichts des Herannahens der sowjetischen Front begann die Evakuierung der deutschsprachigen Bevölkerung vor allem aus der Zips in der Ostslowakei und weniger systematisch aus dem Hauerland. Aus Bratislava/Pressburg flohen die Menschen nach Westen. Ein Teil der BewohnerInnen kehrte nach Kriegsende zurück und konnte sich wieder ansiedeln. Die Vertreibung der „Deutschen“ wurde im slowakischen Teil des wiedererrichteten Staates weniger systematisch verfolgt als in Tschechien, und es blieben kleine Teile der traditionellen deutschen Siedlungsgebiete erhalten. Magyaren und Roma wurden vielfach in das entvölkerte Sudetenland umgesiedelt.