Für die hochaktuelle Frage, wie die Menschheit heute den Klimawandel kontrollieren kann, um für sich selbst und kommende Generationen lebenswerte Bedingungen am Planeten zu erhalten, liegen unzählige Antworten vor. Eine davon wurde vom österreichischen Klimavolksbegehren bei seinem Start 2019 weltweit erstmalig vorgestellt: Der Klimarechnungshof. Als politisch unabhängiges Kontrollorgan des Parlaments wäre der Klimarechnungshof demokratisch beauftragt, die praktische Wirksamkeit von Klimaschutzmaßnahmen zu kontrollieren.
Voraussetzung für die Ausübung dieser Kontrollaufgabe ist das Konzept eines globalen CO2-Budgets, wie es 2014 vom Weltklimarat etabliert wurde. Doch wie könnte ein Klimarechnungshof das durchaus umstrittene wissenschaftliche Wissen zum Klimawandel mit politischem Wissen und klimapolitischer Praxis im nationalstaatlichen Maßstab in Verhandlung bringen?
Das Forschungsprojekt Realfiktion Klimarechnungshof versetzt alle Interessierten ins Zentrum dieser Herausforderung. In Zusammenarbeit mit Expert*innen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft erörtern wir die Auswirkungen des Klimabudgetregimes auf die Möglichkeiten, wie wir den Klimawandel gesellschaftlich konzipieren und demokratisch gestalten können. In Workshops, Performances und Kurzfilmen setzt das Forschungsprojekt innovative wissenschaftliche Methoden der Spekulation ein, um die Produktion von Klimawandelwissen zu untersuchen – bevor und während es wiederum Teil demokratischer Gesetzgebungsverfahren wird. Diesen Prozess bezeichnen wir als Realfiktion, oder auch forschendes Pre-enactment.
Mittels vielfältiger Forschungs- und Veröffentlichungsformate verfolgen wir das Ziel, selbst zur Bildung von Klimawandelwissen beizutragen, indem wir Zukunftsimaginationen gestalten und gesellschaftliche Reaktionsmöglichkeiten auf die Klimakrise ausloten. Darüber hinaus dient die Realfiktion Klimarechnungshof dazu, das multimodale Methodenrepertoire wissensanthropologischer Erkenntnisprozesse zu erweitern und methodologisch zu begründen.
Das Forschungsprojekt Realfiktion Klimarechnungshof wird vom Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien geleitet und im 1000-Ideen-Programm des Wissenschaftsfonds FWF gefördert. Das Projekt ist Teil der kollaborativen Forschungsinitiative „Studio Klimawandelwissen“, die vom Institut für Europäische Ethnologie initiiert und in Kooperation mit dem Arbeitsbereich für Wissenschaftsgeschichte der Universität Wien und dem Volkskundemuseum Wien seit 2020 durchgeführt wird.