Volkskundemuseum Wien
Otto Wagner Areal, Pavillon 1
Baumgartner Höhe 1, 1140 Wien
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Laudongasse 15-19, 1080 Wien
T: +43 1 406 89 05
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Mostothek
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Die Neugestaltung der Schausammlung ist nun fast 30 Jahre her. Wo stand das Volkskundemuseum Anfang der 1990er – auch über die Landesgrenzen hinweg?
Margot Schindler: Wir waren international mit den Fachkolleg*innen gut vernetzt und haben von Wien aus in alle Richtungen gearbeitet. Auch waren wir innerhalb von ICOM (International Council of Museums) europaweit aktiv. Zudem hat unser ehemaliger Standort, das Ethnographische Museum im Schloss Kittsee, Südosteuropa erschlossen und stellte vor allem für Kolleginnen und Kollegen hinter dem damaligen Eisernen Vorhang einen Ankerpunkt dar.
Welche Zugänge der Volkskunde wurden da diskutiert?
Franz Grieshofer: Ein Zugang war, die unterschiedlichen Ethnien oder Volksgruppen in ihren verschiedenen Formen oder Ausprägungen zu zeigen: sei es durch die Tracht, durch ihr landwirtschaftliches Gerät oder in ihrer Volkskunst. Das war ein interessanter Zugang – der aber nicht unproblematisch ist. Denn dadurch wurde typisiert und etwas festgelegt, was sich ohnehin stetig im Wandel befindet und weiterentwickelt wird.
Margot Schindler: Es waren teilweise Konstrukte, die der Realität nicht Stand gehalten haben. Das zentrale Interesse der Museumsgründer bestand in der Sammlung von Zeugnissen der sogenannten Volkskunst und in deren regionalem Vergleich.
Wie habt ihr damals während des Umbaus in den 1980er bis 90er Jahren gearbeitet?
Franz Grieshofer: Das Museum ist unter Klaus Beitl in den 1980er Jahren sukzessive umgebaut und umstrukturiert worden.
Margot Schindler: Vor der Renovierung gab es kaum eine adäquate Infrastruktur. Wir hatten weder Zentralheizung noch brauchbare Werkstätten, Depots und Büros. Das knappe Budget, das nicht aus dem Bundesmuseumsbudget stammte, sondern sich aus einer Förderschiene speiste, ließ keinerlei Bewegungsspielraum zu.
Was habt ihr mit den Objekten gemacht während des Umbaus?
Margot Schindler: Genaugenommen hatten wir keinen Platz für all die Objekte. Alles war, salopp gesagt, „zugestopft“ mit diversem Sammlungsgut. Wir mussten zuerst Depots schaffen und innerhalb dieses Arbeitsschrittes die Sammlungen neu bearbeiten und bewerten. Das war die Voraussetzung für die neue Schausammlung, die schließlich die Krönung der gesamten Renovierung darstellte.
Franz Grieshofer: Dort, wo heute die Restaurierwerkstatt und die Tischlerei sind, waren damals unsere einzigen Depots. Da wurde praktisch alles untergebracht. Den ehemaligen Luftschutzbunker im Schönbornpark haben wir dann peu à peu als Depot dazubekommen.
Margot Schindler: Im Zuge der Renovierung des Hauses wurden die Keramik im Keller und die Metallobjekte im Dachboden untergebracht.
Franz Grieshofer: Als nächster großer Schritt kam Ende der 1980er Jahre das Depot im Hafen Freudenau dazu. Wichtig war auch die zeitgemäße Einrichtung von Werkstätten. Der Höhepunkt dieser Umstrukturierung war wie gesagt die Fertigstellung der Schausammlung 1994/95 – 100 Jahre Verein und Österreichisches Museum für Volkskunde gaben den Anlass.
Hatte das Museum geschlossen während dieser Arbeiten und Neugestaltung des Hauses?
Franz Grieshofer: Nicht komplett – das wäre heute undenkbar. Als wir im Ersten Stock die Heizung gemacht haben, sind die Objekte nicht entfernt worden, sondern wurden nur notdürftig abgedeckt.
Der Ansatz, die Schausammlung nicht nach erwartbaren Konzepten wie Regionalität, Technik oder Chronologie zu gestalten, wurde damals durchaus kontrovers aufgefasst. Was waren Eure Beweggründe, den volkskundlichen Erzählkanon derart zu dekonstruieren?
Margot Schindler: Das war ein interessanter Prozess, der ungefähr zwei Jahre gedauert hat. Parallel zur Sanierung mussten wir uns der Neuaufstellung der Schausammlung widmen. Die Frage war, wie wir die historischen Sammlungen zur Volkskunst fruchtbar mit neuem Sinn erfüllen können, der auch die inhaltlichen Veränderungen des akademischen Faches Volkskunde berücksichtigt. Zudem haben wir erstmals Ausstellungsarchitekt*innen von außen hinzugeholt, um die Präsentation zu professionalisieren. Im Vergleich wurden die thematisch meist regional- und sachorientierten Ausstellungen in den 1960er und 70er Jahren in-house produziert und waren dementsprechend gestalterisch bescheiden, wie es den damaligen Gepflogenheiten in den meisten kulturhistorischen Museen entsprach.
Was unterschied die alte von der 1994 erneuerten Schausammlung?
Franz Grieshofer: Bei der alten Schausammlungen orientierte man sich an regionalen Konzepten und verfuhr nach dem Stubenprinzip, das Haberlandt schon angewandt hat. Die Tiroler, die Vorarlberger, die Steirische Stube und so weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man einige Stuben (Böhmen, Mähren) abgebaut und nach Kittsee gebracht. Hier in Wien hat man sich auf Österreich konzentriert.
Margot Schindler: Das waren die früheren Prinzipien: landschaftlich-regionale Konzepte oder Orientierung nach Sachgruppen (Möbel, Schmuck, Instrumente, Textilien, Keramik, Glas, Masken, etc.). Dieser Zugang wurde mit der neuen Schausammlung aufgelöst.
An welchen Schwerpunkten und Themen habt ihr euch bei der Neugestaltung orientiert?
Margot Schindler: Es ging uns darum, weiter gefasste kulturprägende Faktoren, die Leben und Alltag der Menschen bestimmen, wie Natur und Umwelt, Wirtschaft, Geschichte und Gesellschaft in den Vordergrund zu stellen.
Franz Grieshofer: Dieser Zugang hat sich bewährt. Für die Besucher*in der Schausammlung sollte deutlich werden, dass die Kultur einem ständigen Wandel unterworfen ist und die Objekte eine Mehrdeutigkeit besitzen. Über ihre Funktion hinaus werden Museumsobjekte auch zu Bedeutungsträgern.
Wie kam es zum ersten Raum (Raum 3)?
Margot Schindler: Die Idee des ersten Raumes war, den Besucher*innen den kulturwissenschaftlichen Zugang eines volkskundlichen Museums bewusst zu machen und die Tatsache, dass dieser epochenprägenden Wandlungen unterliegt, wie die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit.
Ist etwas aus der alten Präsentation geblieben?
Margot Schindler: Die Tiroler und die Vorarlberger Stuben sind geblieben, allerdings in einem neuen Sinnzusammenhang. Zudem blieb die historische Bezeichnung „Bretagne“ an einem Mauerdurchbruch bestehen, als Reminiszenzverweis an die breit ausgreifenden Sammlungsbereiche in ehemaligen Reliktgebieten Europas.
Wisst ihr, warum sich relativ wenige Objekte aus Ostösterreich in der Schausammlung befinden?
Margot Schindler: Die Schausammlung spiegelt die Sammlungs- und Objektlage wider. Es sind daher bestimmte Regionen besser vertreten als andere. Das, was wir zeigen wollten, war nicht abhängig von der regionalen Herkunft der Realien, sondern von deren vielschichtigen Deutungsmöglichkeiten.
Franz Grieshofer: Das Volkskundemuseum beschränkt sich auf die Erfassung der vormodernen Zeit.
Bei der Konzeption der Neugestaltung wart ihr zu viert: Klaus Beitl, Bernhard Tschofen und ihr beide. Wie war die Zusammenarbeit?
Franz Grieshofer: Ziemlich gleichwertig. Jeder hatte seine Themen. Bernhard Tschofen hat gut und schnell mit Texten arbeiten können. Es gibt die Raum-, Themen- und Objekttexte. Der zweite Raum zur Natur war mir ein Anliegen. Denn je nachdem wo der Mensch lebt, nutzt er die Natur, die ihn umgibt, anders und es entstehen in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Techniken, Zugänge und Traditionen.
Margot Schindler: Wir hatten viele Konzeptsitzungen und jeder von uns Vieren hat seine Ideen eingebracht. Es war eine Gemeinschaftsarbeit von unterschiedlichen Generationen an wissenschaftlichen Mitarbeitern mit flacher Hierarchie. Jeder und Jede hat bestimmte thematische Bausteine beigetragen. Die Hauptarbeit der Textredaktion ist Bernhard Tschofen zuzurechnen.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Architektin Elsa Prochazka?
Franz Grieshofer: Klaus Beitl ist über das Jüdische Museum in Hohenems auf Elsa Prochazka gestoßen, die dort die Gestaltung gemacht hat. Das hat uns gut gefallen und war für die Zeit innovativ und neu. Wir haben sie dann bald für unsere neue Schausammlung gewonnen. Bei der Neugestaltung ist sie einem Etagenprinzip gefolgt, das für uns anfangs nicht ganz greifbar war. Doch die verschiedenen Präsentationsebenen sollten die unterschiedlichen Bedeutungsebenen der Objekte zum Ausdruck bringen. Auch die Wahl der Materialien (Schieferstein, Holz), sollte den Stellenwert der Objekte unterstreichen.
Margot Schindler: In der Fachwelt ist die Neue Schausammlung interessiert und positiv aufgenommen worden. Für die restlichen Besucher*innen war es anfangs eher schwierig sie so anzunehmen. Auch ältere Kolleg*innen und Vereinsmitglieder waren teilweise über die Aufbereitung und Präsentation empört, da sie sich nicht ganz einfach und auf den ersten Blick erschließt. Gemeinsam mit einer Führung und Erläuterungen fand man den Einstieg besser. Die Erwartungen vieler Besucher*innen, geprägt durch langjährige überkommene Heimatmuseengewohn- und -gewißheiten, waren durch diesen progressiven Ansatz samt neuartiger Präsentation in gewisser Weise gestört worden.
Für wie lange habt ihr damals die neue Schausammlung geplant?
Margot Schindler: Über die „Haltbarkeit“ haben wir uns wenig Gedanken gemacht (lacht). Dass sie sich über dreißig Jahre erstrecken würde, ist allerdings retrospektiv schon erstaunlich. Wir hatten aber durchaus eine längere Dauer vor Augen, zumal ja eine intensive Themen- und Sonderausstellungstätigkeit im ersten Stock ihren Anfang nahm, was sich bis heute gehalten hat. Franz Grieshofer: Zudem hat es einige gemeinsame Ausstellungsprojekte mit Kollege*innen aus der Slowakei, Slowenien oder auch Frankreich gegeben.
Was würdet ihr heute anders machen?
Margot Schindler: Eigentlich nichts (lacht). Ich persönlich sähe wenig Notwendigkeit, die Schausammlung neu zu denken, weil sie nach wie vor gut funktioniert und das Konzept dahinter so offen ist, dass man jederzeit mit neuen Fragen und Ideen an sie herangehen kann.
Franz Grieshofer: Heute würde ich die Gegenwart mehr einbeziehen, obwohl das sicher keine leichte Aufgabe ist – denn wo zieht man die Grenze? Wo fängt Alltagskultur an, wo hört sie auf? Man kann eigentlich nur die kulturelle Seite der Dinge zeigen. Ein Ansatz wäre vielleicht: Was steckt alles in der alten Volkskultur für die heutige Zeit?
Die Küsten Österreichs haben sich 2018 so stark, politisch und gegenwärtig in die Schausammlung eingeschrieben, dass wir sie „Die neue Schausammlung“ genannt haben. Wie habt ihr das gefunden?
Franz Grieshofer: Der Kurator*innengruppe ist da sicherlich etwas gelungen. Sie haben geschafft, gegenwärtigen Themen, die der Gesellschaft unter den Nägeln brennen, in der Schausammlung Platz zu geben. Es zeigt sich, dass es fruchtbar sein kann, Museumsfremde zu holen, um Ausstellungen oder Interventionen aus ihrer Sicht gestalten zu lassen. „Die neue Schausammlung“ kann als gelungenes Projekt betrachtet werden.
Wie ist die Schausammlung nutzbar für die Vermittlung?
Katharina Richter-Kovarik: Ausgezeichnet – nur die Architektur ist schwierig. Wir hatten schon einige Verletzungen bei Kindern. Teilweise haben wir die Ecken nun abgedeckt. Aber inhaltlich können wir mit so vielen Themen andocken. Auch die vier Zugänge sind nach wie vor zeitlos und funktionieren in viele Richtungen.
Was würdet ihr euch für die nun anstehende Neukonzeption der Schausammlung nach der kommenden Generalsanierung des Volkskundemuseums wünschen? Was wollt ihr uns für die Planung mitgeben?
Margot Schindler: Das ist in Anbetracht der Objektlage des Museums eine schwierige Frage. Wissen um und Interesse an historischer materieller Kultur sind im Schwinden. Die Aufgabe unseres Museums, das Entstehen und die stetige Transformation von Kultur und Gesellschaft zu beschreiben, zu analysieren und zu vermitteln, bleibt.
Franz Grieshofer: Heute ist es wahrscheinlich schwieriger, mit diesen historischen Objekten umzugehen. Wir haben uns damals bemüht, eine Ausstellung für die Fachwelt zu machen – und nicht unbedingt für die breite Masse. Und das ist uns gelungen.
Interventionen in der Schausammlung:
Die Küsten Österreichs, seit 2018
Hauspostille von Martin Luther, 2017
Freud’s Dining Room, 2015/16
Past Future Perfect, 2014/2015
Das Gespräch führten Katharina Richter-Kovarik und Johanna Amlinger.
Franz Grieshofer studierte Volkskunde und Urgeschichte an den Universitäten Innsbruck und Wien. Leopold Schmidt holte den jungen Akademiker ins Österreichische Museum für Volkskunde, wo er ab 1975 tätig war. Nach der Pensionierung von Klaus Beitl wurde Franz Grieshofer im Jahr 1995 als dessen Nachfolger zum Direktor ernannt. Er hatte diese Stellung bis zu seiner Pensionierung 2005 inne.
Margot Schindler studierte Volkskunde, Kunstgeschichte und Slawistik bei Károly Gaál und Leopold Schmidt an der Universität Wien. Sie arbeitete seit 1979 im wissenschaftlichen Dienst des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien und war von 2006 bis 2013 ebendort Direktorin.
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Margot Schindler: Wir waren international mit den Fachkolleg*innen gut vernetzt und haben von Wien aus in alle Richtungen gearbeitet. Auch waren wir innerhalb von ICOM (International Council of Museums) europaweit aktiv. Zudem hat unser ehemaliger Standort, das Ethnographische Museum im Schloss Kittsee, Südosteuropa erschlossen und stellte vor allem für Kolleginnen und Kollegen hinter dem damaligen Eisernen Vorhang einen Ankerpunkt dar.
Welche Zugänge der Volkskunde wurden da diskutiert?
Franz Grieshofer: Ein Zugang war, die unterschiedlichen Ethnien oder Volksgruppen in ihren verschiedenen Formen oder Ausprägungen zu zeigen: sei es durch die Tracht, durch ihr landwirtschaftliches Gerät oder in ihrer Volkskunst. Das war ein interessanter Zugang – der aber nicht unproblematisch ist. Denn dadurch wurde typisiert und etwas festgelegt, was sich ohnehin stetig im Wandel befindet und weiterentwickelt wird.
Margot Schindler: Es waren teilweise Konstrukte, die der Realität nicht Stand gehalten haben. Das zentrale Interesse der Museumsgründer bestand in der Sammlung von Zeugnissen der sogenannten Volkskunst und in deren regionalem Vergleich.
Wie habt ihr damals während des Umbaus in den 1980er bis 90er Jahren gearbeitet?
Franz Grieshofer: Das Museum ist unter Klaus Beitl in den 1980er Jahren sukzessive umgebaut und umstrukturiert worden.
Margot Schindler: Vor der Renovierung gab es kaum eine adäquate Infrastruktur. Wir hatten weder Zentralheizung noch brauchbare Werkstätten, Depots und Büros. Das knappe Budget, das nicht aus dem Bundesmuseumsbudget stammte, sondern sich aus einer Förderschiene speiste, ließ keinerlei Bewegungsspielraum zu.
Was habt ihr mit den Objekten gemacht während des Umbaus?
Margot Schindler: Genaugenommen hatten wir keinen Platz für all die Objekte. Alles war, salopp gesagt, „zugestopft“ mit diversem Sammlungsgut. Wir mussten zuerst Depots schaffen und innerhalb dieses Arbeitsschrittes die Sammlungen neu bearbeiten und bewerten. Das war die Voraussetzung für die neue Schausammlung, die schließlich die Krönung der gesamten Renovierung darstellte.
Franz Grieshofer: Dort, wo heute die Restaurierwerkstatt und die Tischlerei sind, waren damals unsere einzigen Depots. Da wurde praktisch alles untergebracht. Den ehemaligen Luftschutzbunker im Schönbornpark haben wir dann peu à peu als Depot dazubekommen.
Margot Schindler: Im Zuge der Renovierung des Hauses wurden die Keramik im Keller und die Metallobjekte im Dachboden untergebracht.
Franz Grieshofer: Als nächster großer Schritt kam Ende der 1980er Jahre das Depot im Hafen Freudenau dazu. Wichtig war auch die zeitgemäße Einrichtung von Werkstätten. Der Höhepunkt dieser Umstrukturierung war wie gesagt die Fertigstellung der Schausammlung 1994/95 – 100 Jahre Verein und Österreichisches Museum für Volkskunde gaben den Anlass.
Hatte das Museum geschlossen während dieser Arbeiten und Neugestaltung des Hauses?
Franz Grieshofer: Nicht komplett – das wäre heute undenkbar. Als wir im Ersten Stock die Heizung gemacht haben, sind die Objekte nicht entfernt worden, sondern wurden nur notdürftig abgedeckt.
Der Ansatz, die Schausammlung nicht nach erwartbaren Konzepten wie Regionalität, Technik oder Chronologie zu gestalten, wurde damals durchaus kontrovers aufgefasst. Was waren Eure Beweggründe, den volkskundlichen Erzählkanon derart zu dekonstruieren?
Margot Schindler: Das war ein interessanter Prozess, der ungefähr zwei Jahre gedauert hat. Parallel zur Sanierung mussten wir uns der Neuaufstellung der Schausammlung widmen. Die Frage war, wie wir die historischen Sammlungen zur Volkskunst fruchtbar mit neuem Sinn erfüllen können, der auch die inhaltlichen Veränderungen des akademischen Faches Volkskunde berücksichtigt. Zudem haben wir erstmals Ausstellungsarchitekt*innen von außen hinzugeholt, um die Präsentation zu professionalisieren. Im Vergleich wurden die thematisch meist regional- und sachorientierten Ausstellungen in den 1960er und 70er Jahren in-house produziert und waren dementsprechend gestalterisch bescheiden, wie es den damaligen Gepflogenheiten in den meisten kulturhistorischen Museen entsprach.
Was unterschied die alte von der 1994 erneuerten Schausammlung?
Franz Grieshofer: Bei der alten Schausammlungen orientierte man sich an regionalen Konzepten und verfuhr nach dem Stubenprinzip, das Haberlandt schon angewandt hat. Die Tiroler, die Vorarlberger, die Steirische Stube und so weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man einige Stuben (Böhmen, Mähren) abgebaut und nach Kittsee gebracht. Hier in Wien hat man sich auf Österreich konzentriert.
Margot Schindler: Das waren die früheren Prinzipien: landschaftlich-regionale Konzepte oder Orientierung nach Sachgruppen (Möbel, Schmuck, Instrumente, Textilien, Keramik, Glas, Masken, etc.). Dieser Zugang wurde mit der neuen Schausammlung aufgelöst.
An welchen Schwerpunkten und Themen habt ihr euch bei der Neugestaltung orientiert?
Margot Schindler: Es ging uns darum, weiter gefasste kulturprägende Faktoren, die Leben und Alltag der Menschen bestimmen, wie Natur und Umwelt, Wirtschaft, Geschichte und Gesellschaft in den Vordergrund zu stellen.
Franz Grieshofer: Dieser Zugang hat sich bewährt. Für die Besucher*in der Schausammlung sollte deutlich werden, dass die Kultur einem ständigen Wandel unterworfen ist und die Objekte eine Mehrdeutigkeit besitzen. Über ihre Funktion hinaus werden Museumsobjekte auch zu Bedeutungsträgern.
Wie kam es zum ersten Raum (Raum 3)?
Margot Schindler: Die Idee des ersten Raumes war, den Besucher*innen den kulturwissenschaftlichen Zugang eines volkskundlichen Museums bewusst zu machen und die Tatsache, dass dieser epochenprägenden Wandlungen unterliegt, wie die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit.
Ist etwas aus der alten Präsentation geblieben?
Margot Schindler: Die Tiroler und die Vorarlberger Stuben sind geblieben, allerdings in einem neuen Sinnzusammenhang. Zudem blieb die historische Bezeichnung „Bretagne“ an einem Mauerdurchbruch bestehen, als Reminiszenzverweis an die breit ausgreifenden Sammlungsbereiche in ehemaligen Reliktgebieten Europas.
Wisst ihr, warum sich relativ wenige Objekte aus Ostösterreich in der Schausammlung befinden?
Margot Schindler: Die Schausammlung spiegelt die Sammlungs- und Objektlage wider. Es sind daher bestimmte Regionen besser vertreten als andere. Das, was wir zeigen wollten, war nicht abhängig von der regionalen Herkunft der Realien, sondern von deren vielschichtigen Deutungsmöglichkeiten.
Franz Grieshofer: Das Volkskundemuseum beschränkt sich auf die Erfassung der vormodernen Zeit.
Bei der Konzeption der Neugestaltung wart ihr zu viert: Klaus Beitl, Bernhard Tschofen und ihr beide. Wie war die Zusammenarbeit?
Franz Grieshofer: Ziemlich gleichwertig. Jeder hatte seine Themen. Bernhard Tschofen hat gut und schnell mit Texten arbeiten können. Es gibt die Raum-, Themen- und Objekttexte. Der zweite Raum zur Natur war mir ein Anliegen. Denn je nachdem wo der Mensch lebt, nutzt er die Natur, die ihn umgibt, anders und es entstehen in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Techniken, Zugänge und Traditionen.
Margot Schindler: Wir hatten viele Konzeptsitzungen und jeder von uns Vieren hat seine Ideen eingebracht. Es war eine Gemeinschaftsarbeit von unterschiedlichen Generationen an wissenschaftlichen Mitarbeitern mit flacher Hierarchie. Jeder und Jede hat bestimmte thematische Bausteine beigetragen. Die Hauptarbeit der Textredaktion ist Bernhard Tschofen zuzurechnen.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Architektin Elsa Prochazka?
Franz Grieshofer: Klaus Beitl ist über das Jüdische Museum in Hohenems auf Elsa Prochazka gestoßen, die dort die Gestaltung gemacht hat. Das hat uns gut gefallen und war für die Zeit innovativ und neu. Wir haben sie dann bald für unsere neue Schausammlung gewonnen. Bei der Neugestaltung ist sie einem Etagenprinzip gefolgt, das für uns anfangs nicht ganz greifbar war. Doch die verschiedenen Präsentationsebenen sollten die unterschiedlichen Bedeutungsebenen der Objekte zum Ausdruck bringen. Auch die Wahl der Materialien (Schieferstein, Holz), sollte den Stellenwert der Objekte unterstreichen.
Margot Schindler: In der Fachwelt ist die Neue Schausammlung interessiert und positiv aufgenommen worden. Für die restlichen Besucher*innen war es anfangs eher schwierig sie so anzunehmen. Auch ältere Kolleg*innen und Vereinsmitglieder waren teilweise über die Aufbereitung und Präsentation empört, da sie sich nicht ganz einfach und auf den ersten Blick erschließt. Gemeinsam mit einer Führung und Erläuterungen fand man den Einstieg besser. Die Erwartungen vieler Besucher*innen, geprägt durch langjährige überkommene Heimatmuseengewohn- und -gewißheiten, waren durch diesen progressiven Ansatz samt neuartiger Präsentation in gewisser Weise gestört worden.
Für wie lange habt ihr damals die neue Schausammlung geplant?
Margot Schindler: Über die „Haltbarkeit“ haben wir uns wenig Gedanken gemacht (lacht). Dass sie sich über dreißig Jahre erstrecken würde, ist allerdings retrospektiv schon erstaunlich. Wir hatten aber durchaus eine längere Dauer vor Augen, zumal ja eine intensive Themen- und Sonderausstellungstätigkeit im ersten Stock ihren Anfang nahm, was sich bis heute gehalten hat. Franz Grieshofer: Zudem hat es einige gemeinsame Ausstellungsprojekte mit Kollege*innen aus der Slowakei, Slowenien oder auch Frankreich gegeben.
Was würdet ihr heute anders machen?
Margot Schindler: Eigentlich nichts (lacht). Ich persönlich sähe wenig Notwendigkeit, die Schausammlung neu zu denken, weil sie nach wie vor gut funktioniert und das Konzept dahinter so offen ist, dass man jederzeit mit neuen Fragen und Ideen an sie herangehen kann.
Franz Grieshofer: Heute würde ich die Gegenwart mehr einbeziehen, obwohl das sicher keine leichte Aufgabe ist – denn wo zieht man die Grenze? Wo fängt Alltagskultur an, wo hört sie auf? Man kann eigentlich nur die kulturelle Seite der Dinge zeigen. Ein Ansatz wäre vielleicht: Was steckt alles in der alten Volkskultur für die heutige Zeit?
Die Küsten Österreichs haben sich 2018 so stark, politisch und gegenwärtig in die Schausammlung eingeschrieben, dass wir sie „Die neue Schausammlung“ genannt haben. Wie habt ihr das gefunden?
Franz Grieshofer: Der Kurator*innengruppe ist da sicherlich etwas gelungen. Sie haben geschafft, gegenwärtigen Themen, die der Gesellschaft unter den Nägeln brennen, in der Schausammlung Platz zu geben. Es zeigt sich, dass es fruchtbar sein kann, Museumsfremde zu holen, um Ausstellungen oder Interventionen aus ihrer Sicht gestalten zu lassen. „Die neue Schausammlung“ kann als gelungenes Projekt betrachtet werden.
Wie ist die Schausammlung nutzbar für die Vermittlung?
Katharina Richter-Kovarik: Ausgezeichnet – nur die Architektur ist schwierig. Wir hatten schon einige Verletzungen bei Kindern. Teilweise haben wir die Ecken nun abgedeckt. Aber inhaltlich können wir mit so vielen Themen andocken. Auch die vier Zugänge sind nach wie vor zeitlos und funktionieren in viele Richtungen.
Was würdet ihr euch für die nun anstehende Neukonzeption der Schausammlung nach der kommenden Generalsanierung des Volkskundemuseums wünschen? Was wollt ihr uns für die Planung mitgeben?
Margot Schindler: Das ist in Anbetracht der Objektlage des Museums eine schwierige Frage. Wissen um und Interesse an historischer materieller Kultur sind im Schwinden. Die Aufgabe unseres Museums, das Entstehen und die stetige Transformation von Kultur und Gesellschaft zu beschreiben, zu analysieren und zu vermitteln, bleibt.
Franz Grieshofer: Heute ist es wahrscheinlich schwieriger, mit diesen historischen Objekten umzugehen. Wir haben uns damals bemüht, eine Ausstellung für die Fachwelt zu machen – und nicht unbedingt für die breite Masse. Und das ist uns gelungen.
Interventionen in der Schausammlung:
Die Küsten Österreichs, seit 2018
Hauspostille von Martin Luther, 2017
Freud’s Dining Room, 2015/16
Past Future Perfect, 2014/2015
Das Gespräch führten Katharina Richter-Kovarik und Johanna Amlinger.
Franz Grieshofer studierte Volkskunde und Urgeschichte an den Universitäten Innsbruck und Wien. Leopold Schmidt holte den jungen Akademiker ins Österreichische Museum für Volkskunde, wo er ab 1975 tätig war. Nach der Pensionierung von Klaus Beitl wurde Franz Grieshofer im Jahr 1995 als dessen Nachfolger zum Direktor ernannt. Er hatte diese Stellung bis zu seiner Pensionierung 2005 inne.
Margot Schindler studierte Volkskunde, Kunstgeschichte und Slawistik bei Károly Gaál und Leopold Schmidt an der Universität Wien. Sie arbeitete seit 1979 im wissenschaftlichen Dienst des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien und war von 2006 bis 2013 ebendort Direktorin.
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