Interview 2/2022

„Wir sind einfach verzaubert vom Audio. Wir sind Audio-verrückt.“

Im Interview sprechen die Audio-Künstler*innen Evelyn Blumenau und Walter Kreuz über das Projekt „APROPOS OBJEKTE“ und was herauskommt, wenn man im Museum der eigenen Denkmaschine Raum und ein Aufnahmegerät gibt.
Als Kunstschaffende – als Audiokunst-Kollektiv gecko art – seid ihr ja vor allem im Medium Audio unterwegs? Wie seid ihr dazu gekommen …?
Walter: Wir kommen beide vom Theater. Evelyn ist auch Sängerin und Musikerin. Wir haben uns in den späten 80er-Jahren im Theater Spielraum kennengelernt. Einmal haben wir beide einen Workshop besucht bei dem es darum ging, das inszenierte nicht darzustellen, sondern nur hörbar zu machen. Daraus wurde einen Hörgeschichte, also ein Theaterstück, das man nur hören konnte. Von da an waren wir regelmäßig unterwegs und haben mit diesem Ansatz weiter gearbeitet. Mit einem guten Aufnahmegerät ausgestattet haben wir in Wien, Österreich und darüber hinaus Projekte gemacht, bei denen es um das Hören und Vertonen ging. Wir haben mit Jugendlichen und Erwachsenen in verschiedenen Settings gearbeitet und waren auch damals schon in Museen tätig. Einmal ging es dabei auch um das Hören und Riechen, zwei Ebenen, die in Museen eigentlich kaum beachtet werden. Dieses Vertonen von Objekten und Artefakten hat also damals schon begonnen. Und dem sind wir bis heute treu geblieben.
 
Was kann Audio, was andere Medien nicht können?
Evelyn: Audio ist sehr leicht zugänglich, das ist auch das Verlockende daran. Die Stimme liegt einem sehr nahe. Natürlich kann man heute ganz leicht auch mit Video arbeiten. Audio macht es einem aber nach wie vor einfacher, sich etwas auszudenken und mit den einfachsten Mitteln ganze Kunstwerke zu schaffen. Während ich bei visuellen Medien, wie etwa Video, auf viele Dinge achten muss, z. B. das Licht, und ich sehr viel Vorwissen brauche, um ins Produzieren zu kommen. Natürlich brauche ich auch in der Audio-Produktion gewisse Kenntnisse – vor allem was die Aufnahme und den Schnitt betrifft – es ist aber eine unmittelbarere Form, da man direkt mit der Stimme arbeitet. Aber das ist natürlich auch Geschmackssache [lacht]. Ich selbst bin einfach von einer Stimme immer mehr eingenommen und ich habe darin auch meine künstlerische Heimat gefunden. In unserer gemeinsamen Arbeit als gecko art bin ich immer wieder erstaunt, dass uns laufend was neues einfällt, wir nicht stagnieren, denn Audio ist so inspirierend. Ich hätte vor 20 Jahren selbst nicht gedacht, dass ich heute noch Audio-Kunst machen würde.
 
Walter: Es klingt zwar schon sehr abgedroschen, aber Audio erzeugt ja wirklich Vorstellungen im Kopf. Das ist schon fast synästhetisch, was hier passiert. Es ist kaum reproduzierbar, was der Kopf hier alles sehen kann, wie ganze Welten entstehen können, dreidimensional und beweglich! Man ist beim Audio einfach auch mehr bei sich. Wenn ich ein Hörspiel höre, dann stelle ich mir die Räume mit meinen Gedanken vor und jemand anderes mit anderen Gedanken. Beide füllen wir aber denselben Raum. Hier vermischt sich Diversität und Einheitlichkeit.
 
Ausstellungen sind ja oft sehr textlastig in der Vermittlung. Auch unsere Dauerausstellung gehört da dazu. Viele Museen versuchen dem in Form von Audio-Guides entgegenzukommen. Wie sind eure Erfahrungen damit? Wie seht ihr das Verhältnis zwischen Museen, die auf das Dreidimensionale und Haptische setzen, und dem Format Audio?
Evelyn: Bei unseren Zusammenarbeiten mit Museen haben wir gesehen, wie Audio es schafft, eine neue Dimension in die Vermittlung der Objekte und Artefakte zu bringen, neue Welten aufzumachen. Und es ist eine gute Synergie: Für das Format Audio bringt die Arbeit mit Museen neue Assoziationsmöglichkeiten und für Museen bringt die Arbeit mit Audio die Möglichkeit, den Blick neu zu schärfen. Besucher*innen, die sich mit Audio durchs Museum bewegen, hören nicht nur die Stimme, der sie folgen, die sie informiert und auch inspiriert. Sie machen sich auch ihre eigenen Gedanken dazu, treten sozusagen in Dialog mit sich selbst und dem Audio. So sind zumindest unsere Audio-Arbeiten immer angelegt. Denn wir sind einfach verzaubert vom Audio. Wir sind Audio-verrückt.
 
Walter: Gerade bei Evelyns Arbeiten gibt es immer wieder Pausen und bewusste Stille, für eigene Gedanken und Assoziation. Und genau das ist auch vergleichbar mit Museen und Ausstellungen, die eigentlich meistens ruhige Orte sind und wo es oft möglich ist, Pausen und Stille abseits des Alltags zu erleben. Man ist dabei in einer eigenen Welt, weit abgeschirmt von Lärm und anderen Einflüssen draußen. Auch Bibliotheken oder Glaubenshäuser haben diesen Flair. Diese Räume sind Orte der Ruhe und schaffen eigentlich eine besondere Atmosphäre für Audioformen, die quasi von selbst entstehen. Es bietet sich also richtiggehend an, auditiv mit Museumsobjekten zu arbeiten, weil ein Museum einen guten Raum dafür schafft, Assoziation, Ideen usw. nachzugehen. Fern ab von Hektik, in einer ruhigen Stimmung, das ist der ideale Nährboden für Audio.
 
Unser gemeinsames Projekt APROPOS OBJEKTE nimmt sich ja genau diesen Impulsen an, die entstehen, wenn man sich auf die Objekte in der Dauerausstellung einlässt...
Walter: Ganz genau. Wie speziell der Raum Museum ist, merkt man alleine schon daran, wie unterschiedlich Gedanken, Assoziation und Gespräch ablaufen, wenn man z. B. gemeinsam wandern oder eben gemeinsam ins Museum geht. Museen sind ganz klar als Bildungsräume konzipiert, da ist ja etwas für mich vorbereitet. Und dann ist eben die Frage, wie läuft die eigene Denkmaschine an. Wenn man dann auch noch zu zweit im Museum ist, tritt man meist automatisch in einen Austausch über das Gesehene, will Assoziationen und Ideen austauschen.
 
Durch unser Projekt geben wir Museumsnutzer*innen einerseits die Möglichkeit, diese zweite Person zu sein und eigene Gedanken zu hinterlassen und andererseits als Hörende, eine zweite, dritte, vierte, usw. Legende zu Objekten zu hören und somit in einen Dialog darüber zu treten. Quasi ein Zwiegespräch mit jemandem, der gar nicht da ist, aber hörbare Spuren hinterlassen hat. Wie eine Nachricht an andere Benutzer*innen dieses halb-öffentlichen Raumes. Was macht aus eurer Perspektive das gemeinsame Audio-Projekt APROPOS OBJEKTE aus?
Walter: Wir laden dabei zu Podcast-Werkstätten, bei denen die Teilnehmer*innen mit den Objekten arbeiten und ihre Ideen, Assoziation oder Geschichten dazu mit ihrer eigenen Stimme vertonen. Das Projekt ist bereits im November gestartet, damals noch – aufgrund der gültigen Corona-Regeln – im digitalen Raum. Da konnten wir aber mit den umfangreichen Beschreibungen der Objekte in der Dauerausstellung aus der Online-Sammlung des Museum arbeiten. Seit Februar können wir das Projekt nun direkt im Museum durchführen. Die Teilnehmer*innen holen erst einmal tief Luft, denn sie stehen vor einem leeren Zettel bzw. einem leeren Gedankenraum, den sie mit ihren Ideen und Wahrnehmungen füllen können. Zunächst kommen schnell erste Gedanken, die sehr oft Erinnerungen sind. Bei den Objekten im Museum etwa an den Skiurlaub in Tirol. Dahinter aber verbergen sich oft spannende Gedanken und wenn ich die ersten Assoziationen hinter mir gelassen habe und in diesem Gedankenraum angekommen bin, kann ich mir die Frage stellen: Was sagt mir das Objekt wirklich? Was sagt es mir persönlich? Was kann ich darin sehen?
Wenn dieser Ansatz einmal gefunden ist, zeigt sich das passende Format. Das kann ein Innerer Monolog sein oder ein Dialog mit dem Objekt, eine Beschreibung, eine erfundene oder eine reale Geschichte. Letztendlich ist der Moment vor dieser „Erfindung“ der wichtigste, spannendste und interessanteste. Der Moment, wenn ich mit dem Objekt alleine bin (oder auch zu zweit alleine mit dem Objekt) und die ersten Sätze gesagt werden. Und in einem gewissen Sinn werden diese Momente dann auch zu einem Berichten über die eigene Beziehung mit dem Objekt, zu einer Erzählung über sich selbst. Ein Museum kann sich nichts besseres Wünschen, als dass genau diese Verbindungen zwischen Betrachter*innen und Objekten passieren.
 
Besonders interessant an diesem Projekt ist für mich, dass diese Beziehungen zwischen Objekt und Betracher*in ja meistens im Verborgenen passiert. Diese Beziehung wird durch das Projekt hörbar. Weiters ist für mich auch wichtig zu ergründen, was Kunst und Kultur – in diesem Fall in Form von Museumsobjekten – auslösen und bewirken kann. Was wäre wenn eine Person nie zu einem dieser Momente mit dem Objekt findet, wenn der Zeiger quasi nicht ausschlägt?
Wir haben jetzt ja schon einige Werkstätten mit sehr spannenden Beiträgen hinter uns. Alle Beiträge sind auch schon auf dem Projekt-Podcast, auf Radio Orange und direkt beim Objekt in der Ausstellung zu hören. Was sind eure Eindrücke aus den Beiträgen?
Evelyn: Ich habe die Beiträge geschnitten und habe dabei miterlebt, wie stark die Menschen in den Dialog mit den Objekten treten, wie kreativ und intensiv diese Beziehung, dieser Moment, ausgelotet wird. Das merkt man auch sehr an den Stimmen. Diese sind nicht monoton und flach  – wobei das auch in Ordnung wäre – sondern sie leben richtig. Einige Beiträge sind auch sehr ausführlich geworden, andere wieder ganz kurz und pointiert und es herrscht eine große Themenvielfalt. Bereits nach der Hälfte des Projekts haben wir eine immense Bandbreite von Zugängen gesehen und erfahren, wie spannend und differenziert die Gedankenräume werden, wenn man die Möglichkeiten dazu gibt. Auch, weil man sich, vom Objekt ausgehend, weiter weg bewegt und seine eigenen Gedankenwege geht. Es ist faszinierend, was passiert, wenn man einen Raum schafft, wo dies möglich ist.
 
Dabei liegen unseren Objekten, die wegen ihres kulturhistorischen Werts ausgestellt sind, die Elemente der Assoziation oder Abstraktion nicht unbedingt nahe – im Gegensatz zu einem Kunstmuseum beispielsweise.
Walter: Sogar bei den Online-Werkstätten im Winter hat man gemerkt, dass die Teilnehmer*innen wirklich Interesse an der Möglichkeit haben, sich solche assoziative Momente mit Objekten zu suchen und diesen nachzugehen. Man muss aber auch dazu sagen, so ein Format ist nicht für jeden Menschen interessant. Kreativität und das Interesse an Audio-Arbeit kann man niemandem aufzwingen. Deshalb ist es auch wichtig, die Teilnahme an den Workshops auf Seiten der Technik möglichst niederschwellig zu halten. Wir kümmern uns eigentlich um alles, die Leute müssen nur ihre Stimme und ihre Ideen mitbringen.
 
Man könnte eigentlich sagen, das Projekt ist für alle, die einen Moment erleben, wenn sie Objekte betrachten und dem einmal nachgehen wollen, anstatt zum nächsten Objekt weiterzugehen – und dies mit anderen Menschen teilen wollen. Es ist außerdem eine Möglichkeit, sich selbst mit der eigenen Stimme und Perspektive in die Ausstellung einzuschreiben. Bei der Vermittlungsarbeit habe ich das auch oft erlebt: dass Menschen zu manchen Objekten sofort eine Beziehung aufbauen, einen Impuls haben. Apropos Impuls! Eine letzte Frage: Wenn das Volkskundemuseum ein Geräusch oder ein Ton wäre, wie würde es klingen?
Evelyn: [macht ein untranskribierbares Geräusch das tief startet und in die Höhe geht] Es klingt nach etwas, das sich gemausert hat, das aufsteigt und sich dreht. Ich hätte nie gedacht, dass das Museum so witzig und vielgesichtig ist. Deshalb ist mein Geräusch auch am Anfang so klein und geht nach oben, wie das Volkskundemuseum, das sich ständig weiter entfaltet.
Walter: Ich würde eher an einen knarrenden Holzboden denken [macht ein untranskribierbares Geräusch, das wie eine Bewegung auf einem Holzboden klingt], da ich Holz als Material sehr liebe und es in der Ausstellung einfach sehr viel davon gibt. Der historische Aspekt dieser Holzobjekte spricht mich sehr an, dabei der Kontakt zwischen Holz und Haut, die Spuren die dieser Kontakt hinterlässt und zu schauen, wie das Holz mit der Zeit reagiert und sich verändert.


Das Gespräch führte Alexandra Bröckl, Kulturvermittlerin im Volkskundemuseum.

Die bereits entstandenen Beiträge sind auch im Audio-Format HÖRGANG direkt beim Objekt abrufbar, außerdem auf einem Projekt-Podcast und in regelmäßigen Sendungen auf Radio Orange. Alle Links und Infos unter: www.volkskundemuseum.at/apropos_objekte
 
gecko art wurde von den Audiokunstschaffenden Evelyn Blumenau und Walter Kreuz 1993 gegründet - und zwar mit dem Ziel, als FAHRENDE AUDIOGRUPPE verschiedenartige Ton- und Sprachprojekte umzusetzen. Im Rahmen der gecko art-Projekte entstehen Eigenproduktionen sowie partizipative Audiomodule. Kooperationen und Gastprojekte brachten das Duo in zahlreiche europäische Städte. gecko art erhielt für seine Radiosendungen, Features und Podcastreihen zahlreiche regionale und internationale Auszeichnungen.

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