Fotografie des Austriaplatzes in Czernowitz


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Die hier präsentierte Fotografie ist im Inventarbuch der Fotosammlung des Volkskundemuseums mit der Nummer 1 gelistet. Sie ist Teil eines Konvolutes von 42 Fotografien, die Josef Szombathy, Kustos am k.k. naturhistorischen Hofmuseum, dem Museum für österreichische Volkskunde übergeben hatte.
Entstanden ist die Fotografie 1894 auf einer "Recognoscirungstour" - einer Erkundungstour - zu archäologischen Ausgrabungsstätten in der Bukowina. Sie zeigt den sogenannten Austriaplatz in Czernowitz mit der Austriastatue des Wiener Bildhauers Karl Pekary im Hintergrund. Wir sehen eine größere Menschenmenge, Angehörige der als "Ruthenen" bezeichneten Bevölkerungsteile, vor einem Zelt, bei dem es sich vermutlich um ein Ringelspiel handelt.

Als Nummer 1 des Inventars steht diese Fotografie in starkem Zusammenhang mit der Gründung des Museums und der etwa zeitgleich erfolgten Initialisierung der Fotosammlung. Michael Haberlandt publizierte 1896 einen Aufruf an "die zahlreichen Amateur-Photographen" mit der Bitte, dem Museum Fotografien aus dem "volkskundlichen Gebiete" zu überlassen. Dies kann als der Beginn der Fotosammlung angesehen werden.
Dass die ersten Fotografien von Josef Szombathy stammen, kommt nicht von ungefähr. Szombathy (1853-1943) studierte unter anderem Paläontologie, Mineralogie und Geologie sowie Geografie und beteiligte sich an archäologischen Ausgrabungen. 1882 trat er in die neu errichtete anthropologisch-ethnographische Abteilung des k.k. naturhistorischen Hofmuseums ein und leitete dann dort bis 1916 die anthropologisch-prähistorische Unterabteilung. Haberlandt war von 1885 bis 1911 in derselben Abteilung tätig. Aber auch in anderen Feldern, aus denen sich damals die Volkskunde entwickelte, gab es zwischen den beiden ein Naheverhältnis und die Unterstützung Szombathys beim Aufbau des Museums für Volkskunde.
So verwundert es nicht, dass Szombathy auf der erwähnten Reise, die anderen Zwecken diente, auch "ethnographische Momente" aufnahm. Unter seinen Sujets finden sich viele wie sie Haberlandt in seinen publizierten Bitten um Fotografien für das Museum definiert hatte - unsere Fotografie könnte sich hier an die Kategorie "Die volkstümlichen Spiele und Lustbarkeiten" anlehnen. Allerdings propagierte Haberlandt eine eher statisch ausgerichtete Fotografie, die zur Kategorisierung und Typisierung angelegt ist. In dieser Manier befindet sich auch einiges an Material in der Fotosammlung, zum Beispiel sogenannte "Volkstypen": frontal in Tracht aufgenommene Bewohner einer bestimmten Region.

Szombathys Aufnahmen, auch die hier gezeigte, reihen sich meist nicht in diese formale Strenge ein. Sie wirken mehr wie die Aufnahmen eines Flaneurs, der die Motive im Vorbeigehen entdeckt und sie fast in Schnappschussmanier festhält. So finden sich einige Bilder, deren ProtagonistInnen in Bewegung dargestellt werden und wirken, als hätte sie Szombathy gerade zufällig angetroffen. Seine Fotografien reihen sich eher in eine Tradition des Fotografierens ein, die heute als "Street Photography" bezeichnet wird und sich einer Dokumentation des Lebens im öffentlichen Raum verschrieben hat. So auch unsere Nummer 1. Kaum jemand nimmt hier Notiz von Szombathy, beziehungsweise hat keine/r der Fotografierten Zeit zu posieren. Der Fotograf scheint sich hier nicht lauthals mit der Kamera aufgebaut, sondern eher beiläufig die ZuseherInnen des Spektakels auf dem Austriaplatz aus einer unauffällig beobachtenden Position aufgenommen zu haben.

Herbert Justnik
Fotografie:
H: 8 cm
B: 10,6 cm
Archivkarton:
A4



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Fotografie des Austriaplatzes in Czernowitz - Bild 1
Weiterführende Informationen
Literatur:
Gröning, Maren. 2006. Materialien aus der Photothek des Österreichischen Museums für Volkskunde als Beiträge zu einer Ausstellung zur Geschichte der österreichischen Fotografie 1839-1939. In Irene Ziehe & Ulrich Hägele (Hg.). Fotos - "schön und nützlich zugleich". Das Objekt Fotografie. Münster: LIT Verlag (= Visuelle Kultur 2), S. 177-193.

Haberlandt, Michael. 1896. Die Photographie im Dienste der Volkskunde. In Zeitschrift für österreichische Volkskunde II: S. 183-186.

Libansky, Abbé & Barbara Zeidler. 2007. brücken:schlag. Die "Czernowitzer Austria" - politische Symbole und neue Identitäten in Europa. Wien: Institut für kulturresistente Güter, Österreichisches Museum für Volkskunde.

Szombathy, Josef. 1894. Zweite Recognoscirungstour in die Bukowina. In Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien XXIV: Sitzungsberichte S. [199-201].

Ausstellung:
"Brücken:Schlag. Die Czernowitzer Austria. Symbole und Identitäten in einem neuen Europa" von 2. März bis 29. April 2007 im Österreichischen Museum für Volkskunde

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