Vorlagenstempel zur Weißstickerei


ÖMV/51.727-52.641
Weiblicher Arbeitsbereich und Mode
Die Weißstickerei diente lange der Kennzeichnung und Verzierung der Weißwäsche, die Teil der Aussteuer und finanzielle Rücklage war. 1883 wurden Schablonierstempel zur einfacheren Übertragung von Mustervorlagen erfunden. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde häusliche Handarbeit mehr und mehr zum Zeitvertreib.

Beschreibung:
Konvolut von 915 Stempeln unterschiedlicher Formen und Größen, manche kaum einen Zentimeter breit, andere 20 Zentimeter im Durchmesser. Alle bestehen aus einfachen, braunen Holzklötzen von drei bis vier Zentimetern Höhe, auf die Metallbögen in diversen Mustern montiert sind: Buchstaben in verschiedenen Schriftarten und Größen, Kronen, Tiere (Hirsch, Pferd und Hase), florale und geometrische Ornamente wie Kreise, Schlingen, Blüten, Blätter und Ranken.

Geschichte / Museum:
Die Objekte wurden dem Museum 1958 aus dem Bestand eines aufgelassenen Geschäfts in der Komödiengasse 3/6, Wien 2, geschenkt und als "Model für Handarbeitsvordrucke" inventarisiert. Im Jahr 2001 kehrten sie für das Kunstprojekt "Unternehmen Capricorn" wieder in den zweiten Bezirk zurück. Christoph Steinbrener hatte zehn Wiener Museen eingeladen, bisher nicht zugängliche Exponate in leer stehenden Geschäftslokalen rund um den Karmelitermarkt zu präsentieren und so in einen Dialog über das Verhältnis von Kunst- und Kulturgüterbewahrung zur Konsum- und Wegwerfgesellschaft einzutreten. Seit dem Ende des Projekts wird das Stempelkonvolut wieder im Depot des Museums verwahrt.

Geschichte / Leben / Kontext:
Die Verwaltung der Textilien als finanzielle Rücklage und als Gradmesser für den Wohlstand oblag in den vorindustriellen Familien den Frauen. Die Weißstickerei, eine der ältesten und formenreichsten Sticktechniken, diente der Kennzeichnung und Verzierung der Weißwäsche (Bett-, Tisch- und Leibwäsche). Erst durch die Trennung von Arbeits- und Wohnort und die damit einher gehenden Veränderungen des weiblichen Rollenbilds im 19. Jahrhundert sowie durch die Herstellung von billigen industriellen Fertigtextilien änderte sich der Charakter der häuslichen Handarbeiten. Sie waren von einer notwendigen, produktiven Tätigkeit zum Zeitvertreib geworden, der verniedlicht oder gar als abstumpfend abgetan, doch gleichzeitig zu den bürgerlichen weiblichen Tugenden gezählt und von den Frauen eingefordert wurde.
Musterbücher und Zeitschriften verbreiteten die neuesten Sticharten und Ornamente, Leibwäsche wurde in einem Ausmaß bestickt, das schon wieder Kritik hervor rief. 1883 kam es zur Erfindung jener "Schablonierstempel", die das Übertragen der Muster auf den zu bestickenden Stoff wesentlich vereinfachten. Wer es sich leisten konnte, stickte jedoch nicht alles selbst: Weißstickerinnen übernahmen die Arbeiten, und gegen die Jahrhundertwende etablierten sich immer mehr Wäschegeschäfte und Handarbeitsläden, die auf Bestellung stickten. Die Umwälzungen des 20. Jahrhunderts führten dazu, dass die Weißstickerei vielen kein Begriff mehr ist. Jedoch lassen sich die - maschinell gefertigten - feinen weißen Blüten, Ranken, Lochmuster und Einfassungen auch an den Tischdecken, Bettüberzügen und der Unterwäsche unseres täglichen Gebrauchs auch heute noch entdecken.

Kathrin Pallestrang
D: 0,3 bis 20 cm



Originalbild öffnen
Vorlagenstempel zur Weißstickerei - Bild 1
Vorlagenstempel zur Weißstickerei - Bild 1
Vorlagenstempel zur Weißstickerei - Bild 2
Objekt wird zitiert in
Pallestrang, Kathrin. 2011. Ganz in Weiß ... Zur Kulturgeschichte der Weißstickerei. In Christoph Steinbrener (Hg.). Unternehmen Capricorn. Ein Projekt von Christoph Steinbrener. Wien: Triton, S. 62-71.
Weiterführende Informationen
Dillmont, Thérèse de. 1987. Enzyklopädie der Handarbeiten. Ravensburg: Otto Maier Verlag.

Heiler, Sylvia. 1993. Aussteuer - Zur Geschichte eines Symbols. In Christel Köhle-Hezinger & Gabriele Mentges (Hg.). Der neuen Welt ein neuer Rock. Studien zu Kleidung, Körper und Mode an Beispielen aus Württemberg. Stuttgart: Konrad Theiss Verlag (= Forschungen und Berichte zur Volkskunde in Baden-Württemberg 9), S. 219-227.

Junker, Almut & Eva Stille. 1988. Zur Geschichte der Unterwäsche 1700-1960. Eine Ausstellung des Historischen Museums Frankfurt, 28. April bis 28. August 1988. Frankfurt a.M.: Historisches Museum Frankfurt (= Kleine Schriften des Historischen Museums Frankfurt am Main 39).

Stradal Marianne & Ulrike Brommer. 1990. Mit Nadel und Faden. Kulturgeschichte der klassischen Handarbeiten. Freiburg, Basel, Wien: Herder.

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