Fastentuch
ÖMV/33.790
Fastenbräuche und Frömmigkeit
Das sogenannte Wiener Fastentuch ist ein spätes Beispiel für die in der Gotik üblichen erzählerisch gestalteten Tücher, die den Altarraum in der vorösterlichen Zeit verdeckten. Die Veränderung von Gestaltungsform und Verwendung der Tücher bis heute lässt die Veränderung von Frömmigkeit und gelebtem Glauben sichtbar werden.
Beschreibung:
Das großflächige Leinentuch (mehrere Bahnen vernäht) zeigt in 36 Szenen die Heilsgeschichte aus dem Alten und Neuen Testament der Bibel von der Erschaffung Adams bis zum Pfingstwunder und - in den letzten beiden Bildern - Himmelfahrt und Krönung Mariens; die Szenen sind in sechs Reihen zu je sechs Bildfeldern mit magerer Leimtempera (Vorimprägnierung) gemalt; bezeichnet "H.A.M." und datiert mit 1640 im vorletzten Feld (Himmelfahrt Mariens). Bildfelder umgeben von weißen und schwarzen Randstrichen (Imitation von Lichteinfall), eingebettet in ein rotes Rahmenraster mit weißer floraler und perlstabartiger Verzierung.
Die einzelnen Szenen zeigen: Erschaffung Adams, Erschaffung Evas, Zusammenführung Adams und Evas, Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies, Adam und Eva bei der Arbeit (Pflügen und Spinnen), Arche Noah, Opferung Isaaks, Verkündigung an Maria, Heimsuchung (Maria bei Elisabeth), Geburt Jesu, Beschneidung, Anbetung der drei Weisen, Darstellung Jesu im Tempel, 12jähriger Jesus im Tempel, Hochzeit zu Kana, Versuchung Jesu durch den Teufel, Wundersame Brotvermehrung, Einzug in Jerusalem, Letztes Abendmahl, Fußwaschung, Gebet Jesu am Ölberg, Gefangennahme, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung, Kreuzannagelung, Kreuzerhöhung, Kreuzabnahme, Grablegung, Jesus in der Vorhölle, Auferstehung, Himmelfahrt Jesu, Pfingsten, Himmelfahrt Mariens, Krönung Mariens im Himmel.
Geschichte / Museum:
Die Inventarbücher des Volkskundemuseums verzeichnen Anfang 1914 den Ankauf der "Kollektion Ambros Rohracher", eines Antiquitätenhändlers aus Lienz in Osttirol, die neben dem Fastentuch zwei Teufelsmasken eines Komödienspiels, irdene Vorratstöpfe und ein Wirtshausschild enthielt, alles aus dem Kärntner Raum stammend. Der Kaufpreis von 1680,- Kronen (das wären heute ca. 5900,- Euro) wurde von Johann II., Fürst von und zu Liechtenstein (1840-1929) gesponsert, einem bedeutenden Kunstsammler und Mäzen, der zahlreiche Wiener Museen, Bibliotheken und andere kulturelle Einrichtungen unterstützte sowie über ein Netzwerk von Antiquitätenhändlern in der gesamten Monarchie auch für seine eigenen Sammlungen Möbel und Kunstwerke erwarb.
Die Herkunft und der Künstler des in der Fachliteratur nunmehr als "Wiener Fastentuch" bezeichneten Stückes konnten bislang trotz eingehender Recherchen nicht geklärt werden. Ein Stilvergleich und die Entstehungszeit weisen auf den Osttiroler-Kärntnerischen Raum hin. Das Monogramm könnte für den Künstler, jedoch genauso gut für den Auftraggeber bzw. Stifter stehen.
Das Tuch war jahrzehntelang im Schauraum "Volksfrömmigkeit" des Museums an der Decke montiert, was konservatorisch höchst bedenklich war und eine dringende Abhängung Ende der 1980er Jahre nötig machte, die im Zuge der umfangreichen Hausrenovierung vorgenommen wurde.
1995 konnte das Tuch in Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt in ca. 900stündiger Arbeit gereinigt und im Zustand fixiert werden. Das Ergebnis dieser Arbeit wurde schließlich im Rahmen der Ausstellung "Fastentuch und Kultfiguren" (22. März bis 12. Mai 1996) gezeigt, und das Tuch war bis 2014 in ständiger Präsentation im Obergeschoß des Museums zu sehen.
Geschichte / Leben / Kontext:
Das Fastentuch des Volkskundemuseums ist ein spätes Exemplar des sogenannten Feldertypus, der wie eine biblia pauperum ("Bibel für Arme") auch für Analphabeten wie ein Buch von links nach rechts in Zeilen zu verstehen ist. Der Einfluss des Marienkults der Gegenreformation zeigt sich deutlich in den letzten beiden Bildern.
Fastentücher, auch Fastenvela, Hungertücher, Kummertücher oder Schmachtfetzen genannt, wurden um 1000 erstmals erwähnt. Sie waren zunächst einfärbig (meist schwarz oder violett), später vorwiegend bemalt oder bestickt. Sie wurden üblicherweise am Aschermittwoch in den Chorbogen gehängt, um den Altarraum die ganze Fastenzeit über zu verhüllen.
Als Grund für die Verhüllungen wird in der Literatur die Unwürdigkeit des Menschen Gott zu schauen genannt, die in der Fastenzeit besonders drastisch vor Augen geführt werden soll ("Fasten mit den Augen") und in Anbetracht der vorgotischen Darstellungen von Christus als Weltenherrscher und Triumphator verständlich wird. Aber auch eine Analogie zum Tempelvorhang wird angeführt, der laut Matthäusevangelium im Augenblick des Todes von Jesus zerriss (Matth. 27,50, Lk. 23,45). Später kamen andere Vorstellungen hinzu, so etwa die vom Herstellungsweg des Leinens als Gleichnis für Erlösung, Buße und Läuterung.
Im Mittelalter wurden die Fastentücher formlos am Abend vor dem Gründonnerstag abgehängt, später bei der Erwähnung des Tempelvorhangs in der Liturgie am Mittwoch der Karwoche theatralisch fallen gelassen.
Martin Luther lehnte die Fastentücher vehement ab. Im Zuge der Gegenreformation wurden sie verkleinert und verhüllten nur mehr die Altarbilder, ihre Gestaltung entsprach der barocken Bilderwelt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Fastentücher gänzlich von einfachen Tüchern in Violett abgelöst. Jedoch seit den 1970er Jahren gibt es Bestrebungen zur Revitalisierung des Brauches im Hinblick auf die geänderte Fastensymbolik. So werden sie häufig von Gemeindemitgliedern in Gemeinschaftsarbeit in textilen Techniken selbst gefertigt und greifen "moderne" Themen wie den Hunger in der Welt oder den Umweltschutz auf. Noch erhaltene alte Fastentücher stehen wieder in Verwendung oder werden aus kunsthistorischem Interesse das ganze Jahr über in der Kirche präsentiert.
Kathrin Pallestrang
Das sogenannte Wiener Fastentuch ist ein spätes Beispiel für die in der Gotik üblichen erzählerisch gestalteten Tücher, die den Altarraum in der vorösterlichen Zeit verdeckten. Die Veränderung von Gestaltungsform und Verwendung der Tücher bis heute lässt die Veränderung von Frömmigkeit und gelebtem Glauben sichtbar werden.
Beschreibung:
Das großflächige Leinentuch (mehrere Bahnen vernäht) zeigt in 36 Szenen die Heilsgeschichte aus dem Alten und Neuen Testament der Bibel von der Erschaffung Adams bis zum Pfingstwunder und - in den letzten beiden Bildern - Himmelfahrt und Krönung Mariens; die Szenen sind in sechs Reihen zu je sechs Bildfeldern mit magerer Leimtempera (Vorimprägnierung) gemalt; bezeichnet "H.A.M." und datiert mit 1640 im vorletzten Feld (Himmelfahrt Mariens). Bildfelder umgeben von weißen und schwarzen Randstrichen (Imitation von Lichteinfall), eingebettet in ein rotes Rahmenraster mit weißer floraler und perlstabartiger Verzierung.
Die einzelnen Szenen zeigen: Erschaffung Adams, Erschaffung Evas, Zusammenführung Adams und Evas, Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies, Adam und Eva bei der Arbeit (Pflügen und Spinnen), Arche Noah, Opferung Isaaks, Verkündigung an Maria, Heimsuchung (Maria bei Elisabeth), Geburt Jesu, Beschneidung, Anbetung der drei Weisen, Darstellung Jesu im Tempel, 12jähriger Jesus im Tempel, Hochzeit zu Kana, Versuchung Jesu durch den Teufel, Wundersame Brotvermehrung, Einzug in Jerusalem, Letztes Abendmahl, Fußwaschung, Gebet Jesu am Ölberg, Gefangennahme, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung, Kreuzannagelung, Kreuzerhöhung, Kreuzabnahme, Grablegung, Jesus in der Vorhölle, Auferstehung, Himmelfahrt Jesu, Pfingsten, Himmelfahrt Mariens, Krönung Mariens im Himmel.
Geschichte / Museum:
Die Inventarbücher des Volkskundemuseums verzeichnen Anfang 1914 den Ankauf der "Kollektion Ambros Rohracher", eines Antiquitätenhändlers aus Lienz in Osttirol, die neben dem Fastentuch zwei Teufelsmasken eines Komödienspiels, irdene Vorratstöpfe und ein Wirtshausschild enthielt, alles aus dem Kärntner Raum stammend. Der Kaufpreis von 1680,- Kronen (das wären heute ca. 5900,- Euro) wurde von Johann II., Fürst von und zu Liechtenstein (1840-1929) gesponsert, einem bedeutenden Kunstsammler und Mäzen, der zahlreiche Wiener Museen, Bibliotheken und andere kulturelle Einrichtungen unterstützte sowie über ein Netzwerk von Antiquitätenhändlern in der gesamten Monarchie auch für seine eigenen Sammlungen Möbel und Kunstwerke erwarb.
Die Herkunft und der Künstler des in der Fachliteratur nunmehr als "Wiener Fastentuch" bezeichneten Stückes konnten bislang trotz eingehender Recherchen nicht geklärt werden. Ein Stilvergleich und die Entstehungszeit weisen auf den Osttiroler-Kärntnerischen Raum hin. Das Monogramm könnte für den Künstler, jedoch genauso gut für den Auftraggeber bzw. Stifter stehen.
Das Tuch war jahrzehntelang im Schauraum "Volksfrömmigkeit" des Museums an der Decke montiert, was konservatorisch höchst bedenklich war und eine dringende Abhängung Ende der 1980er Jahre nötig machte, die im Zuge der umfangreichen Hausrenovierung vorgenommen wurde.
1995 konnte das Tuch in Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt in ca. 900stündiger Arbeit gereinigt und im Zustand fixiert werden. Das Ergebnis dieser Arbeit wurde schließlich im Rahmen der Ausstellung "Fastentuch und Kultfiguren" (22. März bis 12. Mai 1996) gezeigt, und das Tuch war bis 2014 in ständiger Präsentation im Obergeschoß des Museums zu sehen.
Geschichte / Leben / Kontext:
Das Fastentuch des Volkskundemuseums ist ein spätes Exemplar des sogenannten Feldertypus, der wie eine biblia pauperum ("Bibel für Arme") auch für Analphabeten wie ein Buch von links nach rechts in Zeilen zu verstehen ist. Der Einfluss des Marienkults der Gegenreformation zeigt sich deutlich in den letzten beiden Bildern.
Fastentücher, auch Fastenvela, Hungertücher, Kummertücher oder Schmachtfetzen genannt, wurden um 1000 erstmals erwähnt. Sie waren zunächst einfärbig (meist schwarz oder violett), später vorwiegend bemalt oder bestickt. Sie wurden üblicherweise am Aschermittwoch in den Chorbogen gehängt, um den Altarraum die ganze Fastenzeit über zu verhüllen.
Als Grund für die Verhüllungen wird in der Literatur die Unwürdigkeit des Menschen Gott zu schauen genannt, die in der Fastenzeit besonders drastisch vor Augen geführt werden soll ("Fasten mit den Augen") und in Anbetracht der vorgotischen Darstellungen von Christus als Weltenherrscher und Triumphator verständlich wird. Aber auch eine Analogie zum Tempelvorhang wird angeführt, der laut Matthäusevangelium im Augenblick des Todes von Jesus zerriss (Matth. 27,50, Lk. 23,45). Später kamen andere Vorstellungen hinzu, so etwa die vom Herstellungsweg des Leinens als Gleichnis für Erlösung, Buße und Läuterung.
Im Mittelalter wurden die Fastentücher formlos am Abend vor dem Gründonnerstag abgehängt, später bei der Erwähnung des Tempelvorhangs in der Liturgie am Mittwoch der Karwoche theatralisch fallen gelassen.
Martin Luther lehnte die Fastentücher vehement ab. Im Zuge der Gegenreformation wurden sie verkleinert und verhüllten nur mehr die Altarbilder, ihre Gestaltung entsprach der barocken Bilderwelt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Fastentücher gänzlich von einfachen Tüchern in Violett abgelöst. Jedoch seit den 1970er Jahren gibt es Bestrebungen zur Revitalisierung des Brauches im Hinblick auf die geänderte Fastensymbolik. So werden sie häufig von Gemeindemitgliedern in Gemeinschaftsarbeit in textilen Techniken selbst gefertigt und greifen "moderne" Themen wie den Hunger in der Welt oder den Umweltschutz auf. Noch erhaltene alte Fastentücher stehen wieder in Verwendung oder werden aus kunsthistorischem Interesse das ganze Jahr über in der Kirche präsentiert.
Kathrin Pallestrang
L: 660 cm
B: 540 cm
B: 540 cm
Objektklasse
Hersteller/in
Beitragende/r
Datierung
Material
Sammlung
Objekt wird zitiert in
Beitl, Klaus. 1978. Volksglaube. Zeugnisse religiöser Volkskunst. Salzburg: Residenz Verlag, S. 108 (Katalog Nr. 39), 109 (Abb.), 150. Koller, Manfred & Margot Schindler. 1996. Fastentuch und Kultfiguren. Sonderausstellung des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt Wien vom 22. März bis 12. Mai 1996. Wien: Österreichisches Museum für Volkskunde (= Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde 67), S. 73-75 (Abb. 1a-1c).
Kollreider, Franz. 1987. Ein bisher unbekanntes Fastentuch aus Lienz? In Osttiroler Heimatblätter 55/Heft 5: S. 1-2.
o.A. 1914. Mitteilungen aus dem k. k. Museum für österreichische Volkskunde. 3. Vermehrung der Sammlungen. In Zeitschrift für österreichische Volkskunde XX: S. 75.
Sörries, Reiner. 1988. Die alpenländischen Fastentücher. Vergessene Zeugnisse volkstümlicher Frömmigkeit. Klagenfurt: Universitäts-Verlag Carinthia, S. 112-115 (Abb. 73-77).
Weiterführende Informationen
Koller, Manfred. 1996. Das Fastentuch von 1640 des Österreichischen Museums für Volkskunde: I. Zur Bedeutung und Restaurierung im Rahmen der Fastentücher Österreichs. In Fastentuch und Kultfiguren. Sonderausstellung des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt Wien vom 22. März bis 12. Mai 1996. Wien: Österreichisches Museum für Volkskunde (= Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde 67), S. 59-82. Schindler, Margot. 1996. Das Fastentuch von 1640 des Österreichischen Museums für Volkskunde: II. Erwerbung und Wiederaufnahme der Fastentuchtradition in der Gegenwart. In Fastentuch und Kultfiguren. Sonderausstellung des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt Wien vom 22. März bis 12. Mai 1996. Wien: Österreichisches Museum für Volkskunde (= Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde 67), S. 83-89.
Wolf, Helga Maria. 2000. Das neue Brauchbuch. Alte und junge Rituale für Lebensfreude und Lebenshilfe. Wien: Österreichischer Kunst- und Kulturverlag.
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