Schreibzeug (Tintenzeug) mit Schreiberfigur


ÖMV/30.089
Werkzeug des Schreibens
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts vereinten sich Tintenfass, Streusandbüchse und Federkielablage zu einem einzigen Behältnis, dem Schreibzeug. Vielgestaltig in Material und Form entwickelte es sich in der Barockzeit zu einem Statussymbol der schreibkundigen Bevölkerung.

Beschreibung:
Das Schreibzeug hat die Form eines Schreibtisches, die flache Bodenplatte ruht auf sechs zylindrischen Füßen, die Federablage ist weit vorkragend und hat eine geschwungene balkonartige Front. Die Behälter für Tinte und Streusand stecken in einem kommodenartigen Schreibtisch mit sechs Laden und angedeuteten Handhaben. In der fußfreien Mitte sitzt die vollplastische, händisch modellierte Figur eines Schreibers auf einem Stuhl, zwischen seinen Beinen lugt ein kleiner Hund hervor. Vor ihm liegt auf einem Tischpult ein Buch, in das er gerade mit einem Schreibgerät Einträge macht. Der Schreiber trägt einen langen grünen Gehrock und ein gelbes Halstuch. Das Haar hat er zu einem langen Zopf gebunden, auf dem Kopf sitzt ein breitrandiger grüner Hut.
Rechts und links der Figur befinden sich zwei Öffnungen, eine für das Tintenfass, die andere für den Streusandbehälter (beide Einsätze fehlen), an den Ecken der glatten Abdeckplatte ragen Zierknöpfe auf.
Das Schreibzeug wurde aus ziegelrot brennender Irdenware in Plattentechnik hergestellt. Auf dem Boden sind Rillen einer Unterlage erkennbar, die senkrechten Rückwände sind durch Brennfehler leicht eingefallen. Das Gefäß ist mit einer gelblichen Engobe bedeckt, worauf ein Punkt- und Zickzackdekor aus grüner und brauner Malhornmalerei in flüchtigem Stil, unter einer farblosen Glasur verrinnend, aufgetragen wurde. Auf der Rückseite des Schreibzeuges wurden weitere florale Motive und die Mondsichel in einfacher Malweise aufgemalt.

Geschichte / Museum:
Das Volkskundemuseum besitzt etwa 100 Schreibzeuge, die zwischen 1895 und 1960 in den Museumsbestand aufgenommen worden sind. Die Objekte stammen zumeist aus Privatsammlungen oder aus Ankäufen von Händlern. Das vorliegende Schreibzeug wurde im Jahre 1912 im Rahmen eines umfangreicheren Konvoluts vom Antiquitätenhändler Gebhard Sagmeister in Bregenz angekauft. Regionale Vergleiche zeigen, dass es höchstwahrscheinlich in Vorarlberg hergestellt worden ist. Das Schreibzeug unterscheidet sich von der Masse der Stücke aus dem 17. bis 20. Jahrhundert durch die Nachformung eines Schreibtisches, an dem ein schreibender Mann sitzt. Das Schreibzeug, das der Schreibende gewöhnlich vor sich auf dem Tisch stehen hatte, wird hier zum Spiegel des Mobiliars und seines Verwenders. Dieses einzigartig gestaltete Tintenzeug zeigt den Schreiber oder vielleicht war es ein Lehrer samt der dafür notwendigen Utensilien, einem Schreibpult, einem Buch sowie einem Schreibstift, bei der Arbeit. Er trägt eine Zopftracht, einen Langrock und einen breitkrempigen Hut, und wird von einem Hund begleitet. Wir können vermuten, dass der Verwender dieses Schreibzeug beim ortsansässigen Hafner anfertigen ließ. Letzterer verewigte den Besteller mit einem Augenzwinkern persönlich und detailgetreu auf seinem Schreibzeug. Bei der Qualität des Malhorndekors nahm er es hingegen nicht so genau.

Geschichte / Leben / Kontext:
Goethe schrieb damit, Wieland benützte es und Nietzsche sinnierte darüber: Schreibzeuge gehören heute zu jenen Objekttypen, die aus der kollektiven Erinnerung verschwunden sind und nur noch in Museen besichtigt werden können. Bis ins Spätmittelalter tauchte man den Federkiel zum Beispiel in ein Horn, gefüllt mit Tinte, das der Schreiber selbst in seiner Hand hielt oder das am Schreibpult befestigt war. Aus dem 16. Jahrhundert sind Darstellungen von handwerklich hergestellten Tintengefäßen überliefert. Diese entwickelten sich in Folge zu einem Kombinationsbehälter für Tintenfass, Streusandbüchse und einer Ablage für die Federkiele. Sie gesellten sich zur Produktionspalette von Kunsthandwerkern unterschiedlicher Sparten, und es entstanden prachtvoll ornamentierte Behältnisse aus Silber, Zinn und Holz.
Mit dem Beginn der Neuzeit blieb die Beherrschung der Schrift nicht mehr allein ein Privileg der Kirchengelehrten. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden in zunehmenden Mengen kastenförmige keramische Schreibzeuge zuerst in Hafnerwerkstätten und schließlich auch in Fayencemanufakturen hergestellt und zierten vielgestaltig die Tische der schreibkundigen Bevölkerung in Stadt und Land. Im 19. Jahrhundert gewann die Schreibgarnitur aus Porzellan als Attribut bürgerlicher und adeliger Lebenswelten zunehmend an Bedeutung.
Mit der Innovation des Füllfederhalters 1884 verlor das Tintenzeug langsam an Bedeutung. Die Erfindung des Kugelschreibers im Jahre 1932 leitete den endgültigen Niedergang dieses Gebrauchsgegenstandes und seiner keramischen Ausformung ein.

Claudia Peschel-Wacha
H max.: 12 cm
L: 19,5 cm
T: 13 cm



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Schreibzeug (Tintenzeug) mit Schreiberfigur - Bild 1
Schreibzeug (Tintenzeug) mit Schreiberfigur - Bild 1
Schreibzeug (Tintenzeug) mit Schreiberfigur - Bild 2
Weiterführende Informationen
Heinemeyer, Elfriede. 1991. Schreibgarnituren aus der Sammlung Kommerzienrat F. Soennecken. Cloppenburg: Museumsdorf Cloppenburg (= Materialien zur Volkskultur nordwestliches Niedersachsen 17).

Linscheid, Friedrich E. 1994. Werkzeuge des Geistes. Schrift und Schreibzeuge vom Altertum bis in die Gegenwart. Klagenfurt: Universitäts-Verlag Carinthia.

Peschel-Wacha, Claudia. 2011. Mit Federkiel, Tinte und Streusand. Keramische Schreibzeuge aus vier Jahrhunderten. In Sabine Felgenhauer-Schmiedt, Nikolaus Hofer u.a. (Hg.). Keramik und Technik. Internationale Fachtagung der Österreichischen Gesellschaft für Mittelalterarchäologie zugleich 43. Internationales Symposium Keramikforschung des Arbeitskreises für Keramikforschung in Mautern an der Donau vom 20. bis 25. September 2010. Wien: Österreichische Gesellschaft für Mittelalterarchäologie (= Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 27), S. 232-241.

Schlichting, Reiner (Hg.). 2002. Werkzeuge des Pegasus. Historische Schreibzeuge im Goethe-Nationalmuseum. Katalog zur Ausstellung der Stiftung Weimarer Klassik vom 9. November 2002 bis 5. Januar 2003 in Goethes Wohnhaus in Weimar. Weimar: Stiftung Weimarer Klassik.

Vonbank, Elmar (Red.). 1978. 4000 Jahre Keramik in Vorarlberg. Festschrift zum 45. Österreichischen Hafnertag Bludenz 1978. Feldkirch: Kammer der gewerblichen Wrtschaft für Vorarlberg, Innung der Hafner Vorarlbergs (= Ausstellungskatalog des Vorarlberger Landesmuseums 77).

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