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Kochbücher aus der Handschriftensammlung

Pruckmair

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Rezeptbuch ÖMV/86.240, 2. Hälfte 18. Jahrhundert, Niederösterreich, Antonia Pruckmair


Im Jahr 2012 gelangte ein handgeschriebenes Rezeptbuch als Schenkung in die Handschriftensammlung des Volkskundemuseums. Die Überbringerin Hermine Kreitschek fand dieses Kochbuch im Nachlass ihrer Mutter Hermine Huber vor. Diese hatte es als Geschenk von der Offizierswitwe Theresia Sicard von Sicardsburg aus Pitten in Niederösterreich etwa in der Zeit um 1910 erhalten.
 

Das Rezeptbuch mit der Signatur ÖMV/86.240 besteht aus einem lehmbraun marmorierten Papiereinband mit braunen Lederecken und Lederrücken sowie einem grünem Schild mit dem Monogramm „E.D. Kochbuch“. Das Buch ist im Hochformat gebunden und beinhalten 197 paginierte Seiten aus Papier, einige unpaginierte sowie ein anschließendes Register aller Rezepte. Es weist wenige Benutzungsspuren auf, lediglich einige Seiten zeigen Brandabdrücke.
 

Die rund 350 Rezepte sind zum überwiegenden Teil von einer einzigen SchreiberInnenhand mit brauner Tinte in Kurrentschrift sorgfältig und ebenmäßig notiert. Die einzelnen Rezepte sind fortlaufend nummeriert und die Überschriften in der gut lesbaren Kanzleischrift hervorgehoben. Das Rezeptbuch ist unterteilt in das „Erste Buch“ (Seite 1-111) bestehend aus Teil 1 und Teil 2 sowie das „Koch Buch von der Frau Antonia Pruckmairin“ (Seite 112-197). Die Autorin, der Autor nennt sich auf Seite 192 im Rezept 164: „Meine Krapfen wie ich es mach“. Es ist möglich, dass es sich hier um Antonia Pruckmair (auch Pruckmayr) handelt.
 

Aufgrund einzelner Buchstabenformen, der Ausführung von Ober- und Unterlängen, Schnörkel und Schmuckelemente ist das Rezeptbuch in die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zu datieren. Regionalsprache und Rezepte deuten auf den Entstehungsraum Niederösterreich hin. Das Buch beinhaltet ungeordnete Rezepte für Suppen, Fleisch-, Fisch- und Krebsgerichte, Saucen, Pasteten, Eingemachtes und Mehlspeisen. Zahlreich sind die vielfältigen Kochanleitungen für Süßspeisen ob der vielen Fasttage im Kirchenjahr. Zudem wurde Wohlstand demonstriert indem teure, delikate Zutaten wie Zucker, Zitrusfrüchte, Zimt und Mandeln reichlich Verwendung fanden. Die Gerichte dienen neben dem leiblichen Genuss auch dem Augenschmaus. Anleitungen für raffinierte Verzierungen erinnern an Schaugerichte adeliger Bankette. Die genannten Merkmale verorten das Rezeptbuch in das Umfeld eines gutbürgerlichen Haushaltes.
 

Die Recherche der für die digitalen Sammlungen des Volkskundemuseum Wien verantwortlichen Mitarbeiterin Elisabeth Egger ergab die Namensauffindung einer Antonia Pruckmair in der Darstellung des Erzherzogtums Österreich unter der Enns von 1837. In dieser wird Antonia Pruckmaier (auch Pruckmayer) als Besitzerin der Herrschaft Heinstetten genannt: „als bekannte Besitzer dieser Herrschaft werden im n. öster. ständ. Gültenbuche folgende angeführt: […] im Jahre 1762 Franz Joseph Pruckmayer; im Jahr 1772 Antonia Pruckmayer von ihrem Manne Franz Joseph […].“ 1773 verkaufte Antonia Pruckmaier die Herrschaft Heinstetten an Maria Theresia Freiin von Riesenfels. Heinstetten lag im heutigen Mostviertel in Niederösterreich, als nächst gelegene Poststation wurde Amstetten genannt. (Darstellung des Erzherzogthums Oesterreich unter der Ens, Viertel Ober-Wienerwald, 7. Bd., Wien 1837, S. 190-195.) Die heutige Schreibweise der Ortschaft lautet Hainstetten, sie ist Teil der Gemeinde Viehdorf im Bezirk Amstetten.
 

Neben der vermutlichen Hauptschreiberin Antonia Pruckmair sind die Handschriften vier weiterer SchreiberInnen zu erkennen. Diese vier Personen fügten 15 zusätzliche Rezepte in einem wenig sorgfältigen Schriftbild als Nachtrag hinzu sowie einige Notizen. Das Rezeptbuch verzeichnet neben Antonia Pruckmair drei weitere Namen. Im Teil „Koch Buch von der Frau Antonia Pruckmairin“ (Seite 112-197) nennt die Autorin zwei Personen auf Seite 191: „162. Krapfen von der Frau Waberl“ und „163. Krapfen von der Frau Zachin“. Weiters ist der Name Johan Diedrich auf der Rückseite des Deckblattes notiert.
 

Das vorliegende Rezeptbuch wurde im Rahmen des generationenübergreifenden Lehrgangs „KAISER GERSTEL, KAPAUNER WÜRSTEL UND SCHNEE BAALEN. Citizen Scientists transkribieren historische Rezepte“ bearbeitet. Die rund 350 Rezepte wurden mit Unterstützung von 15 freiwillig tätigen Citizen Scientists buchstabengetreu von der Kurrentschrift in die heutige Druckschrift übertragen. Weiters wurden die Angaben von Ingredienzien und Maßeinheiten zum besseren Verständnis in die Gegenwart übersetzt. Die Zusammenarbeit mit den in unterschiedlichen Berufen ausgebildeten Projektteilnehmerinnen war äußerst bereichernd. Das vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz geförderte Citizen Science Projekt fand von Oktober 2017 bis Mai 2018 am Volkskundemuseum Wien, unter der Projektleitung von Claudia Peschel-Wacha und der wissenschaftlichen Leitung von Sabine Paukner, statt. Es umfasste 11 Treffen, in denen Theorie und Praxis verbunden wurden. Neben der wissenschaftlichen Recherche und dem Transkribieren wurden ausgewählte historische Rezepte in der Schauküche des Volkskundemuseums mit der Köchin und Kulturwissenschaftlerin Felizitas Gattermann nachgekocht.
 

Wie das Rezeptbuch in den Besitz von Theresia Sicard von Sicardsburg kam, ist nicht geklärt. Die Recherchen der zwei Projektteilnehmerinnen Heidemarie Brezina und Karin Schob zur Biografie der Theresia Sicard von Sicardsburg (1860-1949, geb. Pankl) brachten interessante Ergebnisse. Ihre Mutter Theresia Pankl (1823-1903, geb. Moritz) besaß das Gasthaus zum Felsenkreuz in Pitten, das 1895 zum Verkauf inseriert wurde. Theresia Sicard von Sicardsburg heiratete 1900 Moritz Sicard von Sicardsburg (1850-1926), die Ehe blieb ohne Nachkommen. Es ist auch möglich, dass dieses Rezeptbuch aus dem Umfeld der Vorfahren und GastwirtschaftsbesitzerInnen der Theresia Sicard von Sicardsburg stammt.

Zur Online Edition dieses Rezeptbuches:
Die Abbildungen der originalen Buchseiten erfolgen als Doppelseiten.
Der handschriftliche Text ist buchstabengetreu, zeilengetreu und seitengetreu transkribiert. Orthographie und Interpunktion sind beibehalten. Texteingriffe stehen in [eckigen Klammern].
Die Paginierung am linken oberen Rand der Transkription entspricht den Seitennummern im Rezeptbuch.
Fußnoten erläutern heute nicht mehr geläufige Termini dieser Rezeptsprache. Ein Terminus ist jeweils bei seinem ersten Vorkommen in einem Rezept mit einer Fußnote erläutert. Jedes Rezept steht somit für sich allein und kann unabhängig von den anderen gelesen und nachvollzogen werden.
Die Ergänzung einer Kochbuchseite mit (+) verweist auf eine Fotografie einer nach Originalrezept nachgekochten Speise.
 

Sabine Paukner
Wissenschaftliche Leiterin
 

Transkription: Simone Blassnigg, Heidemarie Brezina, Heidrun Drexler-Schmid, Karin Fleisch, Felizitas Gattermann, Uschi Gross, Gerlinde Gruber, Nina Harm, Vera Härtel, Gudrun Kanatschnig-Minichshofer, Michaela Krbusek-Waldmann, Liane Nijemcevic-Hoffmann, Susanne Ohrenstein, Karin Schob, Edith Strasser
 

Korrektorat: Monika Habersohn, Ekkehard Metzger, Karin Schob
 

Webpräsentation: Elisabeth Egger
 

Wissenschaftliche Leitung, Bearbeitung, Glossar: Sabine Paukner

Projektleitung: Claudia Peschel-Wacha
 

Freundlicher Dank an:

Stefan Mair für den kulturhistorischen Austausch zur Rezeptsprache
 

Maria Paukner für den Austausch zu regionalsprachlichen Ausdrücken aus dem Raum Niederösterreich
 

Leopold Strenn für die genealogische Beratung
 

Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz



Hier gibt es das vollständige Kochbuch als Download.

Die im Kochbuch verwendeten küchentechnischen Ausdrücke können sie in diesem Glossar nachschlagen.

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