Volkskundemuseum Wien
Otto Wagner Areal, Pavillon 1
Baumgartner Höhe 1, 1140 Wien
Postanschrift:
Laudongasse 15-19, 1080 Wien
T: +43 1 406 89 05
F: +43 1 406 89 05.88
E: office@volkskundemuseum.at
Hildebrandt Café
geschlossen
Bibliothek
Nutzung derzeit nicht möglich
Mostothek
Di, ab 17 Uhr
Zum letzten Mal: 29.10.
Du bist Kopf und Herz des ACHTSAMEN 8., einer Initiative zur Vernetzung nachbarschaftlicher Hilfe in der Josefstadt. Wie entstand das Projekt und wofür steht es?
Nach einiger Zeit in der Wissenschaftskommunikation habe ich mich entschieden, beruflich in die psychosoziale Beratung zu wechseln. Ich arbeite für die Caritas im Café Zeitreise. Da kommen Demenz-Betroffene und Angehörige zusammen, die sich in einem moderierten Rahmen austauschen. Bei dieser Arbeit habe ich gelernt, dass es nicht allzu viel braucht, um Betroffene und Angehörige etwas zu entlasten.
2017 stand jemand von der damaligen Bezirksvorstehung vor der Tür, die von Haus zu Haus gegangen ist und sich bei der Bevölkerung der Josefstadt erkundigt hat, was im Bezirk fehlt, was es noch braucht. Ich habe von meinen Ideen für Senior*innenprojekte erzählt und bald darauf ein Konzept mitgebracht.
2019 wurde daraus der Förderantrag für eine sogenannte „Caring Community“ in der Josefstadt und Gert Dressel und ich – mit dem Team vom Verein Sorgenetz – haben schließlich die Förderung für den ACHTSAMEN 8. bekommen. Später ist noch Valerie Pechhacker dazugekommen.
Zwischen 2017 und 2019 bin ich von Institution zu Institution gegangen und habe viele Anregungen und Erfahrungen gehört, vernetzt und Multiplikator*innen im Bezirk kennengelernt.
Was bedeutet Caring Community genau?
Caring Community ist eine sorgende Gemeinde oder ein sorgender Bezirk mit der Idee, dass möglichst viele Menschen in der Gesellschaft einander unterstützen für ein gutes Leben für alle. Sowohl beim ACHTSAMEN 8. als auch beim Nachhaltigen ACHTSAMEN 8. deckt Caring Community ein großes Spektrum an Themen ab. Im Zentrum steht bei uns die generationenübergreifende Zusammenarbeit. Durch die Begegnung und das persönliche Kennenlernen entsteht Bewusstsein und Verständnis für armuts- und ausgrenzungsgefährdete Menschen, das Altwerden und Demenz. Hinzu kommt die entsprechende Wissensvermittlung, die wir durch unterschiedlichste Veranstaltungen, Schulungen und moderierte Treffen anbieten.
Wie funktioniert die Hilfe in der Praxis?
Es rufen Leute bei mir an, die entweder Unterstützung brauchen oder Angehörige, Nachbar*innen, Freund*innen von Menschen mit Hilfe-Bedarf sind. Beispielsweise wenn jemand stürzt und erschrocken erkennt, plötzlich bei alltäglichen Dingen Hilfe zu benötigen. Ich vernetze diese Person dann mit den professionellen Angeboten im Bezirk oder bemühe mich um nachbarschaftliche Unterstützung.
Aus dem ACHTSAMEN 8. ist inzwischen der Nachhaltige ACHTSAME 8. geworden, der jedoch auch nur temporär gefördert ist …
Der erste ACHTSAME 8. ist von 2019 bis 2022 als Gesundheitsförderungsprojekt vom Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) und der Wiener Gesundheitsförderung (WiG) gefördert worden und das Folgeprojekt, der Nachhaltige ACHTSAME 8., wird noch bis Februar 2024 vom FGÖ und dem Gesundheitsministerium gefördert. Wir überlegen natürlich schon, wie wir unsere Initiative nachhaltig verankern können. Erfreulicherweise etablieren sich ohnehin einige Dinge, die besonders gut funktionieren. Die Generationenworkshops, die wir damals bei euch im Volkskundemuseum gemacht haben, sind inzwischen fixer Bestandteil eures Programms. Ich sehe den ACHTSAMEN 8. auch als Experimentierkasten. Es geht nicht um Quantität, sondern wir können ausprobieren und sehen, was gut oder eben nicht so gut läuft und passen die Angebote entsprechend an.
Wie ist eure Bilanz bislang?
Stolz sind wir auf über 500 Unterstützungsaktivitäten, neue Initiativen, wie Achtsam unterwegs oder Zuhören und Erzählen in der Josefstadt und ein riesiges, tolles Netzwerk, in dem Institutionen, Bürger*innen und Unternehmen miteinander tun. Der ACHTSAME 8. ist praktisch ein großes Gefäß für alle geworden. Es geht uns um die Sache. Das heißt, es gibt keine Konkurrenz – daher funktioniert dieses große miteinander Tun so gut.
Was nicht so gut klappt, sind die Kümmerkästen, unsere rosa Briefkästen im Bezirk. Da ist selten etwas drin, und wenn doch, dann oft für die Bezirksvorstehung, was ich selbstverständlich weitertrage. An sich ist das Ziel der Kümmerkästen, niederschwellig und auch anonym Bedürfnisse für den Bezirk, Hilfebedarf oder Ideen äußern zu können.
Gibt es ähnliche Initiativen in anderen Wiener Bezirken?
Es gibt die demenzfreundlichen Bezirke in Wien, Initiativen wie 15 erzählt oder die Community Nurses, die teilweise in die Richtung gehen. Oft stehen Institutionen hinter den Caring Community-Projekten. Der ACHTSAME 8. zeichnet sich dadurch aus, dass er eine zivilgesellschaftliche Initiative ist. Wir sind nicht in Institutionsstrukturen gebunden, sondern können autonom und flexibel mit dem, was im Bezirk bereits da ist an Engagement, Bedürfnissen und Ideen arbeiten. Wir bringen Institutionen und Bürger*innen in der Josefstadt zusammen. Daraus ist inzwischen ein Sorgenetzwerk im Bezirk erwachsen, aus dem zahlreiche Aktivitäten und Angebote entstanden sind.
Worum geht es da genau?
Der wichtigste Baustein einer Caring Community ist für mich die persönliche Beziehung. Der Tag der ACHTSAMKEIT dient genau diesem Zweck: Angebote sichtbar machen, das Begegnen, Kennenlernen, Vernetzen und die Information, wo man Hilfe bekommt, wenn man sie braucht. Gerade alten Menschen gibt dieses Wissen Sicherheit und ermutigt sie, länger zu Hause zu wohnen. Sie vertrauen darauf, dass die Hilfe um die Ecke ist. Im Gemeinsamen wächst die Haltung, füreinander Sorge tragen zu wollen.
Hast du ein Beispiel aus der Nachbarschaftsarbeit in Bezug auf Demenz?
Im ersten Lockdown rief mich eine junge Frau an, die mit ihren Kindern im 20. Bezirk wohnt und daher nicht zu ihrer Tante im 8. Bezirk fahren konnte. Ihre Tante ist altersvergesslich und ging damals zweimal am Tag hinaus. Einmal zum Einkaufen und einmal spazieren. Wegen der Ansteckungsgefahr im Supermarkt haben wir versucht, eine Lösung zu finden, dass die Tante nicht einkaufen gehen muss. Eine Freiwillige aus der Josefstadt hat sich dann gefunden. Diese war jeden Tag bei der alten Dame, immer zu derselben Uhrzeit, wenn sie sich für den Supermarkt anzog und hat ihr den fertigen Einkauf überreicht. Sie haben ein Lächeln ausgetauscht. Aus dieser Hilfe hat sich eine Beziehung entwickelt. Die so hilfreiche Freiwillige war wiederum dankbar, denn zum einen hatte sie durch den täglichen Besuch etwas Tagestruktur – zum anderen war das Lächeln von der alten Dame unbezahlbar in dieser Zeit.
Wer sind die freiwilligen Helfer*innen?
Jede*r kann jederzeit mitmachen und es auch jederzeit wieder sein lassen – das macht unsere Lebendigkeit aus. Derzeit gibt es eine Handvoll Freiwillige. Aber das kann sich je nach der persönlichen Situation ändern. Es gibt immer Lebensumstände, die eine derartige Freiwilligenarbeit zulassen, oder eben nicht. Und das ist vollkommen in Ordnung. Es kommt natürlich vor, dass keine der freiwillig Helfenden kurzfristig Zeit hat und sich niemand findet. Dann springe ich ein.
Worauf kommt es an, wenn man sich engagieren will?
Es geht in erster Linie um ein respektvolles Miteinander – das auch zum Gelingen unserer Stammtische und Bürger*innenforen beiträgt. Die Anliegen der einzelnen Personen haben genauso Raum wie die Würdigung von Engagement.
Wo überall freiwillige Hilfe willkommen ist, findet sich zum Beispiel auf achtsamer.at/orte. Oder man fragt bei einer Institution nach oder meldet sich bei mir.
Was bewegt dich an dem Thema Demenz?
Ich habe eine psychosoziale Beratungsausbildung gemacht. Als meine Kinder noch klein waren, habe ich meine Großtante begleitet, die altersvergesslich war. Diese Erfahrung war sehr prägend. Mit alten Menschen fühle ich mich geborgen und zuhause. Das motivierte mich, beim Caritas Café Zeitreise mit Demenz-Betroffenen und Angehörigen zu arbeiten.
Ist die eigene Abgrenzung ein Thema?
Ja natürlich. Manchmal ist es leicht, manchmal nicht. Man lernt mit der Zeit, sich besser abzugrenzen. Ich kann leider nicht alle Sorgen tragen. Bei Menschen, die einem stark ans Herz wachsen, fällt es schwerer. Es ist sicherlich nicht professionell, jederzeit erreichbar zu sein. Auch Zeiten der Nichterreichbarkeit zu haben, ist ein wichtiger Schritt.
Was heißt Sorge tragen für dich?
Für mich ist es wichtig, Menschen zusammen zu bringen und eine Haltung des Miteinander und Aufeinanderschauen zu begleiten. Unser ganzes Leben lang benötigen wir immer wieder Fürsorge und Unterstützung von Anderen. In meinem Alltag trage ich Sorge für meine Familie, meine Freund*innen und bin für die Menschen im ACHTSAMEN 8. über das Grätzeltelefon erreichbar.
Wie steht es um die Sorge heute?
Ich weiß, dass sich ganz viele Leute engagieren. Das sehen wir oft gar nicht. Sei es in der Nachbarschaft oder in der Familie. Ich möchte gerne in einer Gesellschaft leben, die sich engagiert und die eine Atmosphäre von Sicherheit im Sinne von Getragen-Sein schafft. Dazu braucht es ein Netzwerk, das im Notfall da ist. Genau das funktioniert im Achten gut, da dieser Bezirk fast etwas Dörfliches hat und schon viele Elemente vorhanden waren. Gleichzeitig darf der Sozialstaat nicht durch zivilgesellschaftliches Engagement ersetzt werden. Es kann immer nur eine Ergänzung sein und muss gesehen und anerkannt werden.
Welche Themen umfasst das „Sorgen“?
Einsamkeit im Alter, Gespräche und Austausch, Mobilität, Vergesslichkeit, (Alters-)Demenz, Kinder großziehen, pflegende Angehörige und professionell Pflegende, auf die Nachbarschaft achten ... Es hilft, über gemeinsame Themen eine Beziehung aufzubauen, um eine Sorgeverantwortung wahrzunehmen. Die Selbstsorge im Blick zu behalten ist ein wichtiges Thema für alle, die Sorge-Arbeit leisten.
Was ist deine persönliche Motivation an der Thematik dranzubleiben?
Ich bin überzeugt, dass einiges gut ist und sich vieles noch verändern muss. Viele Menschen möchten in einer Gesellschaft leben, in der sie gerne mitgestalten. Es macht mir Freude zu beobachten, dass sich Menschen begegnen, sich wiedersehen. Das Freudeteilen, wenn man etwas Sinnvolles tut – das ist eine treibende Kraft.
Ein großes Anliegen ist mir, dass sich unsere Bilder von Alter und Demenz verändern. Ein Mensch, der sein Leben gemeistert hat, sollte auch im Alter wahr- und ernstgenommen werden und ein Teil der Gesellschaft bleiben. Es ist leider so, dass oft starke Berührungsängste in Bezug auf alte oder von Demenz betroffene Menschen vorhanden sind.
Was sind konkrete Projekte in der näheren Zukunft?
Beim letzten Bürger*innenforum ist die Idee zu „Planungsgremien“ geboren worden, also Gruppen, die sich konkreter Themen und Maßnahmen annehmen wie Erzählcafé-Formate, Demenz und soziale sowie kulturelle Teilhabe, psychische Gesundheit und auch die nachhaltige Verankerung des ACHTSAMEN 8.. Es wird im Herbst ein Nachhaltigkeitsforum geben. Dazu laden wir Expert*innen aus allen möglichen Bereichen ein, um Ideen zu sammeln, wie man den Nachhaltigen ACHTSAMEN 8. weiterführen kann. Achtsames Achterl, unser Stammtisch, widmet sich dem Ausverhandeln unterschiedlicher Bedürfnisse – unter dem Motto „Was der Nachbar braucht, ist was mich schlaucht“. Für all diese Aktivitäten braucht es Menschen, die sie koordinieren und den Rahmen halten. Wir werden uns etwas einfallen lassen, wie wir den „Doppelt Nachhaltigen ACHTSAMEN 8.“ weiterführen können und jedenfalls die verbleibende Zeit gut nützen.
Das Gespräch führten Johanna Amlinger und Gesine Stern.
Daniela Martos, aufgewachsen in der Josefstadt, Studium der Geschichte, 10 Jahre in einer Agentur für Wissenschaftskommunikation, Begleitung von Hochbetagten und Menschen mit Demenz in verschiedenen Kontexten. Mitgründerin Verein Sorgenetz, der (Nachhaltige) ACHTSAME 8.. 4 Kinder, eine Enkelin, seit 2020 verheiratet.
Der Nachhaltige ACHTSAME 8. ist eine Initiative von Josefstädter*innen und dem Verein Sorgenetz mit vielfältigen Aktivitäten im Achten Wiener Gemeindebezirk.
www.achtsamer.at
In den Angeboten der Kulturvermittlung findet sich ein Programm, das im Zuge des ACHTSAMEN 8. entwickelt wurde:
Gemeinsam eine schöne Zeit verbringen ab 7 bis 100+
Generationen-Workshops zu Alltagsthemen mit Kindern, älteren Menschen und/oder Menschen mit Demenzdiagnosen. Nach einer Kennenlernrunde bilden wir Tandems aus Kindern und älteren Menschen, um ausgewählte Museumsobjekte mit allen Sinnen gemeinsam zu entdecken. Bei Schönwetter besuchen wir nach einer Stärkung auch den Garten bzw. Kräutergarten und basteln, singen, tanzen, lachen.
www.volkskundemuseum.at/anmeldung
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Nach einiger Zeit in der Wissenschaftskommunikation habe ich mich entschieden, beruflich in die psychosoziale Beratung zu wechseln. Ich arbeite für die Caritas im Café Zeitreise. Da kommen Demenz-Betroffene und Angehörige zusammen, die sich in einem moderierten Rahmen austauschen. Bei dieser Arbeit habe ich gelernt, dass es nicht allzu viel braucht, um Betroffene und Angehörige etwas zu entlasten.
2017 stand jemand von der damaligen Bezirksvorstehung vor der Tür, die von Haus zu Haus gegangen ist und sich bei der Bevölkerung der Josefstadt erkundigt hat, was im Bezirk fehlt, was es noch braucht. Ich habe von meinen Ideen für Senior*innenprojekte erzählt und bald darauf ein Konzept mitgebracht.
2019 wurde daraus der Förderantrag für eine sogenannte „Caring Community“ in der Josefstadt und Gert Dressel und ich – mit dem Team vom Verein Sorgenetz – haben schließlich die Förderung für den ACHTSAMEN 8. bekommen. Später ist noch Valerie Pechhacker dazugekommen.
Zwischen 2017 und 2019 bin ich von Institution zu Institution gegangen und habe viele Anregungen und Erfahrungen gehört, vernetzt und Multiplikator*innen im Bezirk kennengelernt.
Was bedeutet Caring Community genau?
Caring Community ist eine sorgende Gemeinde oder ein sorgender Bezirk mit der Idee, dass möglichst viele Menschen in der Gesellschaft einander unterstützen für ein gutes Leben für alle. Sowohl beim ACHTSAMEN 8. als auch beim Nachhaltigen ACHTSAMEN 8. deckt Caring Community ein großes Spektrum an Themen ab. Im Zentrum steht bei uns die generationenübergreifende Zusammenarbeit. Durch die Begegnung und das persönliche Kennenlernen entsteht Bewusstsein und Verständnis für armuts- und ausgrenzungsgefährdete Menschen, das Altwerden und Demenz. Hinzu kommt die entsprechende Wissensvermittlung, die wir durch unterschiedlichste Veranstaltungen, Schulungen und moderierte Treffen anbieten.
Wie funktioniert die Hilfe in der Praxis?
Es rufen Leute bei mir an, die entweder Unterstützung brauchen oder Angehörige, Nachbar*innen, Freund*innen von Menschen mit Hilfe-Bedarf sind. Beispielsweise wenn jemand stürzt und erschrocken erkennt, plötzlich bei alltäglichen Dingen Hilfe zu benötigen. Ich vernetze diese Person dann mit den professionellen Angeboten im Bezirk oder bemühe mich um nachbarschaftliche Unterstützung.
Aus dem ACHTSAMEN 8. ist inzwischen der Nachhaltige ACHTSAME 8. geworden, der jedoch auch nur temporär gefördert ist …
Der erste ACHTSAME 8. ist von 2019 bis 2022 als Gesundheitsförderungsprojekt vom Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) und der Wiener Gesundheitsförderung (WiG) gefördert worden und das Folgeprojekt, der Nachhaltige ACHTSAME 8., wird noch bis Februar 2024 vom FGÖ und dem Gesundheitsministerium gefördert. Wir überlegen natürlich schon, wie wir unsere Initiative nachhaltig verankern können. Erfreulicherweise etablieren sich ohnehin einige Dinge, die besonders gut funktionieren. Die Generationenworkshops, die wir damals bei euch im Volkskundemuseum gemacht haben, sind inzwischen fixer Bestandteil eures Programms. Ich sehe den ACHTSAMEN 8. auch als Experimentierkasten. Es geht nicht um Quantität, sondern wir können ausprobieren und sehen, was gut oder eben nicht so gut läuft und passen die Angebote entsprechend an.
Wie ist eure Bilanz bislang?
Stolz sind wir auf über 500 Unterstützungsaktivitäten, neue Initiativen, wie Achtsam unterwegs oder Zuhören und Erzählen in der Josefstadt und ein riesiges, tolles Netzwerk, in dem Institutionen, Bürger*innen und Unternehmen miteinander tun. Der ACHTSAME 8. ist praktisch ein großes Gefäß für alle geworden. Es geht uns um die Sache. Das heißt, es gibt keine Konkurrenz – daher funktioniert dieses große miteinander Tun so gut.
Was nicht so gut klappt, sind die Kümmerkästen, unsere rosa Briefkästen im Bezirk. Da ist selten etwas drin, und wenn doch, dann oft für die Bezirksvorstehung, was ich selbstverständlich weitertrage. An sich ist das Ziel der Kümmerkästen, niederschwellig und auch anonym Bedürfnisse für den Bezirk, Hilfebedarf oder Ideen äußern zu können.
Gibt es ähnliche Initiativen in anderen Wiener Bezirken?
Es gibt die demenzfreundlichen Bezirke in Wien, Initiativen wie 15 erzählt oder die Community Nurses, die teilweise in die Richtung gehen. Oft stehen Institutionen hinter den Caring Community-Projekten. Der ACHTSAME 8. zeichnet sich dadurch aus, dass er eine zivilgesellschaftliche Initiative ist. Wir sind nicht in Institutionsstrukturen gebunden, sondern können autonom und flexibel mit dem, was im Bezirk bereits da ist an Engagement, Bedürfnissen und Ideen arbeiten. Wir bringen Institutionen und Bürger*innen in der Josefstadt zusammen. Daraus ist inzwischen ein Sorgenetzwerk im Bezirk erwachsen, aus dem zahlreiche Aktivitäten und Angebote entstanden sind.
Worum geht es da genau?
Der wichtigste Baustein einer Caring Community ist für mich die persönliche Beziehung. Der Tag der ACHTSAMKEIT dient genau diesem Zweck: Angebote sichtbar machen, das Begegnen, Kennenlernen, Vernetzen und die Information, wo man Hilfe bekommt, wenn man sie braucht. Gerade alten Menschen gibt dieses Wissen Sicherheit und ermutigt sie, länger zu Hause zu wohnen. Sie vertrauen darauf, dass die Hilfe um die Ecke ist. Im Gemeinsamen wächst die Haltung, füreinander Sorge tragen zu wollen.
Hast du ein Beispiel aus der Nachbarschaftsarbeit in Bezug auf Demenz?
Im ersten Lockdown rief mich eine junge Frau an, die mit ihren Kindern im 20. Bezirk wohnt und daher nicht zu ihrer Tante im 8. Bezirk fahren konnte. Ihre Tante ist altersvergesslich und ging damals zweimal am Tag hinaus. Einmal zum Einkaufen und einmal spazieren. Wegen der Ansteckungsgefahr im Supermarkt haben wir versucht, eine Lösung zu finden, dass die Tante nicht einkaufen gehen muss. Eine Freiwillige aus der Josefstadt hat sich dann gefunden. Diese war jeden Tag bei der alten Dame, immer zu derselben Uhrzeit, wenn sie sich für den Supermarkt anzog und hat ihr den fertigen Einkauf überreicht. Sie haben ein Lächeln ausgetauscht. Aus dieser Hilfe hat sich eine Beziehung entwickelt. Die so hilfreiche Freiwillige war wiederum dankbar, denn zum einen hatte sie durch den täglichen Besuch etwas Tagestruktur – zum anderen war das Lächeln von der alten Dame unbezahlbar in dieser Zeit.
Wer sind die freiwilligen Helfer*innen?
Jede*r kann jederzeit mitmachen und es auch jederzeit wieder sein lassen – das macht unsere Lebendigkeit aus. Derzeit gibt es eine Handvoll Freiwillige. Aber das kann sich je nach der persönlichen Situation ändern. Es gibt immer Lebensumstände, die eine derartige Freiwilligenarbeit zulassen, oder eben nicht. Und das ist vollkommen in Ordnung. Es kommt natürlich vor, dass keine der freiwillig Helfenden kurzfristig Zeit hat und sich niemand findet. Dann springe ich ein.
Worauf kommt es an, wenn man sich engagieren will?
Es geht in erster Linie um ein respektvolles Miteinander – das auch zum Gelingen unserer Stammtische und Bürger*innenforen beiträgt. Die Anliegen der einzelnen Personen haben genauso Raum wie die Würdigung von Engagement.
Wo überall freiwillige Hilfe willkommen ist, findet sich zum Beispiel auf achtsamer.at/orte. Oder man fragt bei einer Institution nach oder meldet sich bei mir.
Was bewegt dich an dem Thema Demenz?
Ich habe eine psychosoziale Beratungsausbildung gemacht. Als meine Kinder noch klein waren, habe ich meine Großtante begleitet, die altersvergesslich war. Diese Erfahrung war sehr prägend. Mit alten Menschen fühle ich mich geborgen und zuhause. Das motivierte mich, beim Caritas Café Zeitreise mit Demenz-Betroffenen und Angehörigen zu arbeiten.
Ist die eigene Abgrenzung ein Thema?
Ja natürlich. Manchmal ist es leicht, manchmal nicht. Man lernt mit der Zeit, sich besser abzugrenzen. Ich kann leider nicht alle Sorgen tragen. Bei Menschen, die einem stark ans Herz wachsen, fällt es schwerer. Es ist sicherlich nicht professionell, jederzeit erreichbar zu sein. Auch Zeiten der Nichterreichbarkeit zu haben, ist ein wichtiger Schritt.
Was heißt Sorge tragen für dich?
Für mich ist es wichtig, Menschen zusammen zu bringen und eine Haltung des Miteinander und Aufeinanderschauen zu begleiten. Unser ganzes Leben lang benötigen wir immer wieder Fürsorge und Unterstützung von Anderen. In meinem Alltag trage ich Sorge für meine Familie, meine Freund*innen und bin für die Menschen im ACHTSAMEN 8. über das Grätzeltelefon erreichbar.
Wie steht es um die Sorge heute?
Ich weiß, dass sich ganz viele Leute engagieren. Das sehen wir oft gar nicht. Sei es in der Nachbarschaft oder in der Familie. Ich möchte gerne in einer Gesellschaft leben, die sich engagiert und die eine Atmosphäre von Sicherheit im Sinne von Getragen-Sein schafft. Dazu braucht es ein Netzwerk, das im Notfall da ist. Genau das funktioniert im Achten gut, da dieser Bezirk fast etwas Dörfliches hat und schon viele Elemente vorhanden waren. Gleichzeitig darf der Sozialstaat nicht durch zivilgesellschaftliches Engagement ersetzt werden. Es kann immer nur eine Ergänzung sein und muss gesehen und anerkannt werden.
Welche Themen umfasst das „Sorgen“?
Einsamkeit im Alter, Gespräche und Austausch, Mobilität, Vergesslichkeit, (Alters-)Demenz, Kinder großziehen, pflegende Angehörige und professionell Pflegende, auf die Nachbarschaft achten ... Es hilft, über gemeinsame Themen eine Beziehung aufzubauen, um eine Sorgeverantwortung wahrzunehmen. Die Selbstsorge im Blick zu behalten ist ein wichtiges Thema für alle, die Sorge-Arbeit leisten.
Was ist deine persönliche Motivation an der Thematik dranzubleiben?
Ich bin überzeugt, dass einiges gut ist und sich vieles noch verändern muss. Viele Menschen möchten in einer Gesellschaft leben, in der sie gerne mitgestalten. Es macht mir Freude zu beobachten, dass sich Menschen begegnen, sich wiedersehen. Das Freudeteilen, wenn man etwas Sinnvolles tut – das ist eine treibende Kraft.
Ein großes Anliegen ist mir, dass sich unsere Bilder von Alter und Demenz verändern. Ein Mensch, der sein Leben gemeistert hat, sollte auch im Alter wahr- und ernstgenommen werden und ein Teil der Gesellschaft bleiben. Es ist leider so, dass oft starke Berührungsängste in Bezug auf alte oder von Demenz betroffene Menschen vorhanden sind.
Was sind konkrete Projekte in der näheren Zukunft?
Beim letzten Bürger*innenforum ist die Idee zu „Planungsgremien“ geboren worden, also Gruppen, die sich konkreter Themen und Maßnahmen annehmen wie Erzählcafé-Formate, Demenz und soziale sowie kulturelle Teilhabe, psychische Gesundheit und auch die nachhaltige Verankerung des ACHTSAMEN 8.. Es wird im Herbst ein Nachhaltigkeitsforum geben. Dazu laden wir Expert*innen aus allen möglichen Bereichen ein, um Ideen zu sammeln, wie man den Nachhaltigen ACHTSAMEN 8. weiterführen kann. Achtsames Achterl, unser Stammtisch, widmet sich dem Ausverhandeln unterschiedlicher Bedürfnisse – unter dem Motto „Was der Nachbar braucht, ist was mich schlaucht“. Für all diese Aktivitäten braucht es Menschen, die sie koordinieren und den Rahmen halten. Wir werden uns etwas einfallen lassen, wie wir den „Doppelt Nachhaltigen ACHTSAMEN 8.“ weiterführen können und jedenfalls die verbleibende Zeit gut nützen.
Das Gespräch führten Johanna Amlinger und Gesine Stern.
Daniela Martos, aufgewachsen in der Josefstadt, Studium der Geschichte, 10 Jahre in einer Agentur für Wissenschaftskommunikation, Begleitung von Hochbetagten und Menschen mit Demenz in verschiedenen Kontexten. Mitgründerin Verein Sorgenetz, der (Nachhaltige) ACHTSAME 8.. 4 Kinder, eine Enkelin, seit 2020 verheiratet.
Der Nachhaltige ACHTSAME 8. ist eine Initiative von Josefstädter*innen und dem Verein Sorgenetz mit vielfältigen Aktivitäten im Achten Wiener Gemeindebezirk.
www.achtsamer.at
In den Angeboten der Kulturvermittlung findet sich ein Programm, das im Zuge des ACHTSAMEN 8. entwickelt wurde:
Gemeinsam eine schöne Zeit verbringen ab 7 bis 100+
Generationen-Workshops zu Alltagsthemen mit Kindern, älteren Menschen und/oder Menschen mit Demenzdiagnosen. Nach einer Kennenlernrunde bilden wir Tandems aus Kindern und älteren Menschen, um ausgewählte Museumsobjekte mit allen Sinnen gemeinsam zu entdecken. Bei Schönwetter besuchen wir nach einer Stärkung auch den Garten bzw. Kräutergarten und basteln, singen, tanzen, lachen.
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