Volkskundemuseum Wien
Otto Wagner Areal, Pavillon 1
Baumgartner Höhe 1, 1140 Wien
Öffnungszeiten:
Di-Fr: 10-17 Uhr
Sa: 14-17 Uhr
So: 11-17 Uhr
Anfahrt
Postanschrift:
Laudongasse 15-19, 1080 Wien
T: +43 1 406 89 05
F: +43 1 406 89 05.88
E: office@volkskundemuseum.at
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ab 1.5. @ OWA
Seit Jänner 2022 nutzt Ihr drei Räume im Volkskundemuseum und bespielt sie jeden Monat mit einer neuen Ausstellung und zahlreichen Veranstaltungen. Wann ist die Idee zu einem Queer Museum in Wien geboren worden?
Florian Aschka (QMV): Die ersten Vorideen für ein queeres Museum in Wien hatten wir schon im November 2019. Getroffen und besprochen haben wir das Ganze dann ab Jänner 2020.
Unter wem ist diese Idee entstanden?
Thomas Trabitsch (QMV): Florian hat die meisten von uns angesprochen. Er arbeitet seit vielen Jahren mit Larissa Kopp zusammen, die Initiative kam dann von beiden. Zu viert, gemeinsam mit Berivan Sayici und mir, haben wir schließlich den Verein gegründet. Von da an ging es los: Mitglieder werben, T-Shirts bedrucken, Kontakte knüpfen, Öffentlichkeitsarbeit. Wir haben versucht, schon am Anfang so zu tun, als wäre das QMV eine fertige, bestehende Institution. Zugleich haben wir überlegt, was das Museum als solches werden und bedeuten kann. Auf der anderen Seite sind wir eine ehrenamtliche Initiative, die mit sehr geringen Ressourcen arbeitet.
Was können wir uns unter „Verein“ und „Mitglieder“ vorstellen?
Thomas: Im Verein haben wir tatsächlich dreißig fördernde Mitglieder, die durch einen Jahresbeitrag die Mitgliedschaft erwerben. Sie bekommen Einladungen, Infos und Goodies oder können an exklusiven Führungen teilnehmen. Dann haben wir noch sogenannte „Volunteers“, ein Pool von Leuten, die organisatorische Aufgaben übernehmen.
Welche Adjektive würdet ihr dem Queer Museum Vienna zuschreiben?
QMV: Verwirrend, interessant, experimentell, prozessual, unhierarchisch, paradox, ungewiss, unterfinanziert, ambitioniert, im besten Sinne nett, sozial, gesellschaftspolitisch und solidarisch.
Was bedeutet das Queer Museum für Wien?
Thomas: Es ist überfällig, dass es so etwas gibt in der Stadt. Es könnte auch ein queeres Kulturzentrum sein, oder ein Ausstellungshaus für queere Gegenwartskunst, oder ein queeres Archiv. Manches davon ist schon da, aber eine Anlaufstelle, wo alles kombiniert ist, fehlt bislang. Das Queer Museum hat Symbolkraft und zeigt, dass queere Kunst, Kultur und Geschichte es wert sind, bewahrt, gezeigt und vermittelt zu werden.
Florian: Es ist ein Kompetenzzentrum, wo nicht nur Ausstellungen gezeigt werden, sondern sich zum Beispiel auch Forschende oder Lehrende zu dem Thema an das Museum wenden können.
Thomas: Es soll ein Ort sein, an dem sich junge Queers treffen können, um etwas über ihre eigene Geschichte zu erfahren, sich wiederfinden können, sich repräsentiert fühlen und sich mit künstlerischen Arbeiten oder politischen Themen wie Gleichstellung oder Diskriminierung auseinandersetzen können. Für Wien ist es extrem wichtig, international dieses Thema auszustrahlen.
Florian: Ja, etwa auch in Richtung Osteuropa, denn dort hat sich die Situation für queere Personen enorm verschlechtert. Wien könnte da eine Botschafterrolle einnehmen.
Ist die queere Community in Wien durch die Präsenz des Museums in der Stadt gewachsen und sichtbarer geworden?
Romualdo Ramos (QMV): Ich weiß nicht, ob die Community unbedingt größer oder sichtbarer geworden ist. Spürbar ist aber, dass nach der langen Zeit von Isolierung, Abstand und Distanz zueinander, das QMV ein wichtiger Treffpunkt geworden ist.
Florian: Man merkt bei unseren Veranstaltungen, dass die Leute selig sind, wieder rauszugehen und einander zu sehen.
Ist Wien eine gute Stadt für queere Leute?
Florian: Wien ist keine schlechte Stadt, aber ist sie eine gute? Naja, es könnte immer besser sein! Schwierig zu beantworten, aber es ist in Wien definitiv besser als in Moskau zum Beispiel. Formal hast du schon viele Rechte als queere Person, aber man merkt im Alltag, dass die Österreicher*innen noch sehr konservativ und nicht wirklich in den 2020ern angekommen sind. Das ist nicht nur auf queere Personen bezogen, sondern trifft genauso auf Menschen anderer Herkunft oder sozialer Schichten zu.
Thomas: Es gibt nach wie vor Gesetzeslücken. Queere Menschen erfahren nicht überall Gleichbehandlung, zum Beispiel wenn man als gleichgeschlechtliches Paar im Café nicht bedient wird oder eine Wohnung nicht bekommt. Ich würde sagen, Wien ist nicht die beste Stadt für queere Leute.
Florian: Es ist grundsätzlich schwierig, sich Räume zu schaffen oder Räume zu bekommen. Soziale Initiativen werden in Wien schnell unterbunden. Dabei wäre es vor allem nach den letzten zwei Jahren umso wichtiger, offene soziale Räume zu schaffen.
Ihr habt die Situation von queeren Menschen in Osteuropa erwähnt. Wie ist die Lage derzeit?
Thomas: Jüngere Beispiele für rückschrittliche Entwicklungen sind die Gesetzesnovelle 2021 in Ungarn mit Verboten von Aufklärungsarbeit zu LGBTIQ+ Themen an Schulen und Werbung, in der Homo- oder Transsexualität dargestellt wird oder entsprechend interpretiert werden kann. Außerdem die so genannten „LGBT-freie Zonen“ in Polen im Jahr 2019, die durch Unterbindung von Bildungsangeboten zu LGBTIQ+ vor „Frühsexualisierung von Kindern“ schützen soll. Russlands Gesetz aus dem Jahr 2013 zu „homosexueller Propaganda“, das Repräsentation praktisch verunmöglicht und Zugang zu Aufklärungs- und Hilfsangeboten extrem erschwert hat.
Was heißt es für das Volkskundemuseum, das QMV zu Gast zu haben?
Florian: Noch mehr Arbeit!
Herbert Justnik (VKM): (lacht) Ja klar. Aber vor allem gibt es eine enorme Produktivität, die sehr geschätzt wird. Spannend ist das Experiment des Museums im Museum. Ich nehme das QMV als extrem wandelbar wahr und man sieht einfach, da passiert etwas sehr Initiatives, ihr wollt etwas. Das Haus profitiert von euch auch wahnsinnig, weil ihr Menschen hier hereinbringt, die uns als Ort vielleicht noch gar nicht wahrgenommen haben. Für uns war und ist die Kooperation mit euch eine wichtige Erfahrung, weil da unterschiedliche Systeme aufeinandertreffen und es ein gegenseitiges Lernen ermöglicht. Die sehr angenehme Art der Zusammenarbeit macht es darüber hinaus besonders gut.
Was war für euch die Ursprungsüberlegung, sich für die Form des Museums zu entscheiden und nicht für ein Kulturzentrum oder Ähnliches? Warum gerade Museum?
Thomas: Am Anfang war es eine starke Geste zu sagen, das ist ein queeres Museum. Dabei entstehen Bilder in den Köpfen der Menschen und es öffnet sich ein Diskurs mit Fragen, was an dem Ort alles passieren könnte, wie das konzeptuell aufgebaut ist und wer es zahlt. Das kann eine fruchtbare Auseinandersetzung sein.
Florian: Wir sind uns bewusst, dass die Begriffe „queer“ und „Museum“ einander eigentlich widersprechen. Ein Museum, das sich heute gründet, muss sich mit Fragen nach Hierarchien, einem Kollektiv, generell mit Organisationsstrukturen beschäftigen. Spätestens wenn die Aufgaben komplexer werden, braucht es gewisse Strukturen. Aber die Frage ist, welche.
Thomas: Der Begriff des Museums hat einen Rattenschwanz von kolonialer Geschichte, Gewalt, Überholtheit, Angestaubtheit. Diese Aspekte bekommt man nicht so schnell weg. Wir diskutieren immer wieder, ob wir das Museum im Titel behalten wollen, oder ob das „queere“ stark genug ist, um das Museum zu subvertieren oder das Museum zu queeren.
Wie steht es um queere Themen in Kunst und Kultur?
Florian: Dass in Museen dezidiert queere Kunst gezeigt wird, ist noch sehr neu, die ersten Beispiele sind aus den Nullerjahren. Im deutschen Fernsehen gab es 1993 oder 1994 den ersten schwulen Kuss in einer deutschen Vorabendserie. Das war damals eine riesige Sache und ist im Grunde gar nicht lange her.
Heute hingegen setzen viele Museen und Institutionen auf den Queer-Faktor und nutzen vor allem den Pride Month im Juni für zahlreiche Veranstaltungen mit einem Bezug zu queeren Themen. Es wirkt fast wie ein Hype. Wie seht ihr diese Entwicklung?
Florian: Ich würde das nicht generell verurteilen. Rainbowtourism ist Mist, ich glaube da sind wir uns einig. Das ist wie queere Kreuzfahrt. Ein Blick auf das Programm zu anderen Zeiten des Jahres zeigt oft sehr schnell, wie ernst es eine Institution mit dem Thema meint. Viele Häuser haben aber das Bedürfnis, sich mit queeren Themen zu befassen und da ist der Pride Month eine gute Gelegenheit oder im besten Fall ein Auftakt, überhaupt etwas zu tun. Es geht da leider oft auch um Argumente nach innen, einem Kollegium oder einer Geschäftsführung gegenüber.
Brauchen wir statt großer Überschriften nicht viel eher ein grundsätzliches Bewusstsein und Mitdenken von Vielfalt?
Herbert: Ja. Denn was hilft es, wenn queer draufsteht, aber nicht drinnen ist …
Wie sähe ein konsequent „gequeertes“ Museum aus?
Herbert: Ein Beitrag zu einem Queering von Museen wäre ein konsequent intersektionales Denken. Das heißt, wo es geht die Frage nach Ethnie, Klasse und Geschlecht beziehungsweise nach jeglicher Form von Diskriminierung zu stellen. Es ist unsere Aufgabe, fortwährend zu sensibilisieren und Aufklärung zu leisten. Ob wir das tun, müssen wir immer wieder kritisch hinterfragen.
Welche Anliegen und Themen stehen hinter eurem Arbeiten?
Thomas: Unser Programm ist extrem dicht und vielfältig mit unterschiedlichen Akteur*innen. Dazu haben wir uns bewusst entschieden, um am Ende ein umfangreiches Portfolio vorweisen zu können. Es gibt oft eine Referenz auf eine mögliche Zukunft. Wir schneiden etwas an, wovon es noch viel mehr geben könnte, quasi ein Teaser.
Florian: Ein Anliegen ist es, die Bandbreite an Kunst, Kultur und Geschichte in der queeren Community zu zeigen, denn es mangelt an Bewusstsein dafür. Aus den USA kennt man in Bezug auf Queer-Sein schon einiges, aber hier ist dieses Kapitel der Kulturgeschichte nicht so präsent. Dem wollen wir Sichtbarkeit verleihen und die Themen vermitteln. Ein anderer Aspekt ist, innerhalb der queeren Community um Solidarität zu werben.
Wie steht es um die queeren oder eben nicht queeren und kategorisierten Begrifflichkeiten in Museumsdatenbanken?
Herbert: Mit den Begrifflichkeiten muss etwas passieren und das tut es auch schon. Es werden aber längere Debatten sein, was aus ethischer und politischer Sicht notwendig und andererseits, wie es technisch umsetzbar, ist. Das ist ein langer Entwicklungsprozess und an vielen Orten gibt es schon einen Konsens darüber. Oft geht es vor allem um Aufklärung, warum gewisse Begriffe schwierig oder problematisch sind. Vielleicht wäre es sinnvoll, mit so etwas wie „re-writing-history“ das Projekt zu begleiten.
Was habt ihr im Laufe eurer Zeit im Volkskundemuseum für eure Ausstellungspraxis gelernt?
Thomas: Dass sehr dichtes Programm auch sehr viel Arbeit bedeutet … (lacht).
Florian: Entspannter zu sein mit sich wandelnden Gegebenheiten, weil sie sich ständig verändern. Natürlich ist es wichtig, dass man Dinge plant, aber es ist auch kein Drama, wenn sich alles nochmal dreht.
Gibt es schon Ideen für eine sogenannte „Homebase“ des Queer Museum Vienna?
Florian: Ja Ideen haben wir viele, das Geld fehlt nur leider für die Umsetzung. Es gäbe eventuell eine Fleischerei im 17. Bezirk die schön wäre, aber dafür haben wir noch keine Förderzusagen.
Thomas: Die Fleischerei steht vielleicht auch als Platzhalter für unsere Anpassungsfähigkeit an verschiedenste räumliche Gegebenheiten. Unser Ansatz ist auf jeden Fall, viele unterschiedliche Bereiche von queerer Kultur zu beleuchten. Es geht da auch ums Feiern, um Clubkultur und Spaß.
Herbert: Danke dafür, dass ihr das so deutlich ans Haus gebracht habt!
Florian: Das soll aber nicht heißen, dass wir uns den ernsthaften Dingen nicht widmen wollen. Es geht um beides.
Thomas: Clubkultur und Feiern haben immer auch eine politische Komponente, das steht außer Frage.
Florian: Um nochmal zu eurer Frage zurückzukehren: nein, wir haben nichts Konkretes im Auge.
VKM: So es denn möglich ist, seid ihr bei uns immer willkommen.
Florian: Ja wenn ihr uns nochmal wollt, gerne!
Das Interview führten Johanna Amlinger und Gesine Stern.
Florian Aschka lebt und arbeitet sehr viel in Wien, ist Künstler*in und Museums*macher*in.
Romualdo Ramos ist DJ / Veranstalter und Sozialwissenschaftler. Er arbeitet und wohnt in Wien.
Thomas Trabitsch lebt in und arbeitet an Wien.
Herbert Justnik arbeitet als Kurator und Kulturwissenschaftler im Volkskundemuseum Wien.
www.queermuseumvienna.com
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Florian Aschka (QMV): Die ersten Vorideen für ein queeres Museum in Wien hatten wir schon im November 2019. Getroffen und besprochen haben wir das Ganze dann ab Jänner 2020.
Unter wem ist diese Idee entstanden?
Thomas Trabitsch (QMV): Florian hat die meisten von uns angesprochen. Er arbeitet seit vielen Jahren mit Larissa Kopp zusammen, die Initiative kam dann von beiden. Zu viert, gemeinsam mit Berivan Sayici und mir, haben wir schließlich den Verein gegründet. Von da an ging es los: Mitglieder werben, T-Shirts bedrucken, Kontakte knüpfen, Öffentlichkeitsarbeit. Wir haben versucht, schon am Anfang so zu tun, als wäre das QMV eine fertige, bestehende Institution. Zugleich haben wir überlegt, was das Museum als solches werden und bedeuten kann. Auf der anderen Seite sind wir eine ehrenamtliche Initiative, die mit sehr geringen Ressourcen arbeitet.
Was können wir uns unter „Verein“ und „Mitglieder“ vorstellen?
Thomas: Im Verein haben wir tatsächlich dreißig fördernde Mitglieder, die durch einen Jahresbeitrag die Mitgliedschaft erwerben. Sie bekommen Einladungen, Infos und Goodies oder können an exklusiven Führungen teilnehmen. Dann haben wir noch sogenannte „Volunteers“, ein Pool von Leuten, die organisatorische Aufgaben übernehmen.
Welche Adjektive würdet ihr dem Queer Museum Vienna zuschreiben?
QMV: Verwirrend, interessant, experimentell, prozessual, unhierarchisch, paradox, ungewiss, unterfinanziert, ambitioniert, im besten Sinne nett, sozial, gesellschaftspolitisch und solidarisch.
Was bedeutet das Queer Museum für Wien?
Thomas: Es ist überfällig, dass es so etwas gibt in der Stadt. Es könnte auch ein queeres Kulturzentrum sein, oder ein Ausstellungshaus für queere Gegenwartskunst, oder ein queeres Archiv. Manches davon ist schon da, aber eine Anlaufstelle, wo alles kombiniert ist, fehlt bislang. Das Queer Museum hat Symbolkraft und zeigt, dass queere Kunst, Kultur und Geschichte es wert sind, bewahrt, gezeigt und vermittelt zu werden.
Florian: Es ist ein Kompetenzzentrum, wo nicht nur Ausstellungen gezeigt werden, sondern sich zum Beispiel auch Forschende oder Lehrende zu dem Thema an das Museum wenden können.
Thomas: Es soll ein Ort sein, an dem sich junge Queers treffen können, um etwas über ihre eigene Geschichte zu erfahren, sich wiederfinden können, sich repräsentiert fühlen und sich mit künstlerischen Arbeiten oder politischen Themen wie Gleichstellung oder Diskriminierung auseinandersetzen können. Für Wien ist es extrem wichtig, international dieses Thema auszustrahlen.
Florian: Ja, etwa auch in Richtung Osteuropa, denn dort hat sich die Situation für queere Personen enorm verschlechtert. Wien könnte da eine Botschafterrolle einnehmen.
Ist die queere Community in Wien durch die Präsenz des Museums in der Stadt gewachsen und sichtbarer geworden?
Romualdo Ramos (QMV): Ich weiß nicht, ob die Community unbedingt größer oder sichtbarer geworden ist. Spürbar ist aber, dass nach der langen Zeit von Isolierung, Abstand und Distanz zueinander, das QMV ein wichtiger Treffpunkt geworden ist.
Florian: Man merkt bei unseren Veranstaltungen, dass die Leute selig sind, wieder rauszugehen und einander zu sehen.
Ist Wien eine gute Stadt für queere Leute?
Florian: Wien ist keine schlechte Stadt, aber ist sie eine gute? Naja, es könnte immer besser sein! Schwierig zu beantworten, aber es ist in Wien definitiv besser als in Moskau zum Beispiel. Formal hast du schon viele Rechte als queere Person, aber man merkt im Alltag, dass die Österreicher*innen noch sehr konservativ und nicht wirklich in den 2020ern angekommen sind. Das ist nicht nur auf queere Personen bezogen, sondern trifft genauso auf Menschen anderer Herkunft oder sozialer Schichten zu.
Thomas: Es gibt nach wie vor Gesetzeslücken. Queere Menschen erfahren nicht überall Gleichbehandlung, zum Beispiel wenn man als gleichgeschlechtliches Paar im Café nicht bedient wird oder eine Wohnung nicht bekommt. Ich würde sagen, Wien ist nicht die beste Stadt für queere Leute.
Florian: Es ist grundsätzlich schwierig, sich Räume zu schaffen oder Räume zu bekommen. Soziale Initiativen werden in Wien schnell unterbunden. Dabei wäre es vor allem nach den letzten zwei Jahren umso wichtiger, offene soziale Räume zu schaffen.
Ihr habt die Situation von queeren Menschen in Osteuropa erwähnt. Wie ist die Lage derzeit?
Thomas: Jüngere Beispiele für rückschrittliche Entwicklungen sind die Gesetzesnovelle 2021 in Ungarn mit Verboten von Aufklärungsarbeit zu LGBTIQ+ Themen an Schulen und Werbung, in der Homo- oder Transsexualität dargestellt wird oder entsprechend interpretiert werden kann. Außerdem die so genannten „LGBT-freie Zonen“ in Polen im Jahr 2019, die durch Unterbindung von Bildungsangeboten zu LGBTIQ+ vor „Frühsexualisierung von Kindern“ schützen soll. Russlands Gesetz aus dem Jahr 2013 zu „homosexueller Propaganda“, das Repräsentation praktisch verunmöglicht und Zugang zu Aufklärungs- und Hilfsangeboten extrem erschwert hat.
Was heißt es für das Volkskundemuseum, das QMV zu Gast zu haben?
Florian: Noch mehr Arbeit!
Herbert Justnik (VKM): (lacht) Ja klar. Aber vor allem gibt es eine enorme Produktivität, die sehr geschätzt wird. Spannend ist das Experiment des Museums im Museum. Ich nehme das QMV als extrem wandelbar wahr und man sieht einfach, da passiert etwas sehr Initiatives, ihr wollt etwas. Das Haus profitiert von euch auch wahnsinnig, weil ihr Menschen hier hereinbringt, die uns als Ort vielleicht noch gar nicht wahrgenommen haben. Für uns war und ist die Kooperation mit euch eine wichtige Erfahrung, weil da unterschiedliche Systeme aufeinandertreffen und es ein gegenseitiges Lernen ermöglicht. Die sehr angenehme Art der Zusammenarbeit macht es darüber hinaus besonders gut.
Was war für euch die Ursprungsüberlegung, sich für die Form des Museums zu entscheiden und nicht für ein Kulturzentrum oder Ähnliches? Warum gerade Museum?
Thomas: Am Anfang war es eine starke Geste zu sagen, das ist ein queeres Museum. Dabei entstehen Bilder in den Köpfen der Menschen und es öffnet sich ein Diskurs mit Fragen, was an dem Ort alles passieren könnte, wie das konzeptuell aufgebaut ist und wer es zahlt. Das kann eine fruchtbare Auseinandersetzung sein.
Florian: Wir sind uns bewusst, dass die Begriffe „queer“ und „Museum“ einander eigentlich widersprechen. Ein Museum, das sich heute gründet, muss sich mit Fragen nach Hierarchien, einem Kollektiv, generell mit Organisationsstrukturen beschäftigen. Spätestens wenn die Aufgaben komplexer werden, braucht es gewisse Strukturen. Aber die Frage ist, welche.
Thomas: Der Begriff des Museums hat einen Rattenschwanz von kolonialer Geschichte, Gewalt, Überholtheit, Angestaubtheit. Diese Aspekte bekommt man nicht so schnell weg. Wir diskutieren immer wieder, ob wir das Museum im Titel behalten wollen, oder ob das „queere“ stark genug ist, um das Museum zu subvertieren oder das Museum zu queeren.
Wie steht es um queere Themen in Kunst und Kultur?
Florian: Dass in Museen dezidiert queere Kunst gezeigt wird, ist noch sehr neu, die ersten Beispiele sind aus den Nullerjahren. Im deutschen Fernsehen gab es 1993 oder 1994 den ersten schwulen Kuss in einer deutschen Vorabendserie. Das war damals eine riesige Sache und ist im Grunde gar nicht lange her.
Heute hingegen setzen viele Museen und Institutionen auf den Queer-Faktor und nutzen vor allem den Pride Month im Juni für zahlreiche Veranstaltungen mit einem Bezug zu queeren Themen. Es wirkt fast wie ein Hype. Wie seht ihr diese Entwicklung?
Florian: Ich würde das nicht generell verurteilen. Rainbowtourism ist Mist, ich glaube da sind wir uns einig. Das ist wie queere Kreuzfahrt. Ein Blick auf das Programm zu anderen Zeiten des Jahres zeigt oft sehr schnell, wie ernst es eine Institution mit dem Thema meint. Viele Häuser haben aber das Bedürfnis, sich mit queeren Themen zu befassen und da ist der Pride Month eine gute Gelegenheit oder im besten Fall ein Auftakt, überhaupt etwas zu tun. Es geht da leider oft auch um Argumente nach innen, einem Kollegium oder einer Geschäftsführung gegenüber.
Brauchen wir statt großer Überschriften nicht viel eher ein grundsätzliches Bewusstsein und Mitdenken von Vielfalt?
Herbert: Ja. Denn was hilft es, wenn queer draufsteht, aber nicht drinnen ist …
Wie sähe ein konsequent „gequeertes“ Museum aus?
Herbert: Ein Beitrag zu einem Queering von Museen wäre ein konsequent intersektionales Denken. Das heißt, wo es geht die Frage nach Ethnie, Klasse und Geschlecht beziehungsweise nach jeglicher Form von Diskriminierung zu stellen. Es ist unsere Aufgabe, fortwährend zu sensibilisieren und Aufklärung zu leisten. Ob wir das tun, müssen wir immer wieder kritisch hinterfragen.
Welche Anliegen und Themen stehen hinter eurem Arbeiten?
Thomas: Unser Programm ist extrem dicht und vielfältig mit unterschiedlichen Akteur*innen. Dazu haben wir uns bewusst entschieden, um am Ende ein umfangreiches Portfolio vorweisen zu können. Es gibt oft eine Referenz auf eine mögliche Zukunft. Wir schneiden etwas an, wovon es noch viel mehr geben könnte, quasi ein Teaser.
Florian: Ein Anliegen ist es, die Bandbreite an Kunst, Kultur und Geschichte in der queeren Community zu zeigen, denn es mangelt an Bewusstsein dafür. Aus den USA kennt man in Bezug auf Queer-Sein schon einiges, aber hier ist dieses Kapitel der Kulturgeschichte nicht so präsent. Dem wollen wir Sichtbarkeit verleihen und die Themen vermitteln. Ein anderer Aspekt ist, innerhalb der queeren Community um Solidarität zu werben.
Wie steht es um die queeren oder eben nicht queeren und kategorisierten Begrifflichkeiten in Museumsdatenbanken?
Herbert: Mit den Begrifflichkeiten muss etwas passieren und das tut es auch schon. Es werden aber längere Debatten sein, was aus ethischer und politischer Sicht notwendig und andererseits, wie es technisch umsetzbar, ist. Das ist ein langer Entwicklungsprozess und an vielen Orten gibt es schon einen Konsens darüber. Oft geht es vor allem um Aufklärung, warum gewisse Begriffe schwierig oder problematisch sind. Vielleicht wäre es sinnvoll, mit so etwas wie „re-writing-history“ das Projekt zu begleiten.
Was habt ihr im Laufe eurer Zeit im Volkskundemuseum für eure Ausstellungspraxis gelernt?
Thomas: Dass sehr dichtes Programm auch sehr viel Arbeit bedeutet … (lacht).
Florian: Entspannter zu sein mit sich wandelnden Gegebenheiten, weil sie sich ständig verändern. Natürlich ist es wichtig, dass man Dinge plant, aber es ist auch kein Drama, wenn sich alles nochmal dreht.
Gibt es schon Ideen für eine sogenannte „Homebase“ des Queer Museum Vienna?
Florian: Ja Ideen haben wir viele, das Geld fehlt nur leider für die Umsetzung. Es gäbe eventuell eine Fleischerei im 17. Bezirk die schön wäre, aber dafür haben wir noch keine Förderzusagen.
Thomas: Die Fleischerei steht vielleicht auch als Platzhalter für unsere Anpassungsfähigkeit an verschiedenste räumliche Gegebenheiten. Unser Ansatz ist auf jeden Fall, viele unterschiedliche Bereiche von queerer Kultur zu beleuchten. Es geht da auch ums Feiern, um Clubkultur und Spaß.
Herbert: Danke dafür, dass ihr das so deutlich ans Haus gebracht habt!
Florian: Das soll aber nicht heißen, dass wir uns den ernsthaften Dingen nicht widmen wollen. Es geht um beides.
Thomas: Clubkultur und Feiern haben immer auch eine politische Komponente, das steht außer Frage.
Florian: Um nochmal zu eurer Frage zurückzukehren: nein, wir haben nichts Konkretes im Auge.
VKM: So es denn möglich ist, seid ihr bei uns immer willkommen.
Florian: Ja wenn ihr uns nochmal wollt, gerne!
Das Interview führten Johanna Amlinger und Gesine Stern.
Florian Aschka lebt und arbeitet sehr viel in Wien, ist Künstler*in und Museums*macher*in.
Romualdo Ramos ist DJ / Veranstalter und Sozialwissenschaftler. Er arbeitet und wohnt in Wien.
Thomas Trabitsch lebt in und arbeitet an Wien.
Herbert Justnik arbeitet als Kurator und Kulturwissenschaftler im Volkskundemuseum Wien.
www.queermuseumvienna.com
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