Volkskundemuseum Wien
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Die Verbreitung der reformatorischen Lehre Martin Luthers (1483–1546) erfolgte vor allem durch Flugblätter und Predigten. Mit der Reformation erfuhr die Predigt einen Aufschwung und trug wesentlich zur Verbreitung der evangelischen Lehre bei, denn sie war an die ganze Gemeinde gerichtet, an Leseunkundige genauso wie an Lesekundige. Große Bedeutung kam dabei den sogenannten Postillen zu. Sie enthielten jene Predigten, die den sonn- und feiertäglichen Bibelabschnitten des Kirchenjahres gewidmet waren („post illa verba textus“ – nach jenen Worten des Textes). Diese Predigtsammlungen dienten hauptsächlich theologisch weniger gebildeten Pfarrern zur Auslegung der Bibel und Vorbereitung ihrer Predigten im sonntäglichen Gottesdienst.
Dass die Reformkonzepte Luthers so erfolgreich waren, ist einerseits in der Möglichkeit der raschen Verbreitung seiner Druckschriften durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern begründet, ist aber genauso der Verwendung der deutschen Sprache zuzuschreiben. Auch seine Kirchenpostille verfasste Luther in deutscher Sprache. Die darin veröffentlichten Musterpredigten waren so für das Volk allgemein verständlich und dem Prediger auf der Kanzel fiel nur noch die Aufgabe des Vorlesens zu.
1544, also zwei Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte Martin Luther seine Hauspostille. Sie war für den häuslichen Gebrauch gedacht, aber auch den Seelsorgern auf dem Land von Nutzen. Darin waren vorzugsweise Predigten enthalten, die der Reformator an seine Kinder und das Gesinde gerichtet und die er daheim in seinem Haus gehalten hatte, wenn es seine Gesundheit nicht erlaubte in der Kirche zu predigen.
Die Zusammenstellung dieser Hauspostille erfolgte durch Veit Dietrich (1506–1549), der die Predigten in Luthers Haus gehört hatte. Den Mitschriften und nachträglichen Aufzeichnungen der Predigten Luthers fügte Dietrich jedoch auch eigene Auslegungen hinzu, wenn für einen Festtag kein Text des Reformators zur Verfügung stand. Das führte zur Kritik an der Hauspostille und veranlasste Andreas Poach (1516–1585) eine neue Fassung herauszubringen. Seine Ausgabe von 1559 enthielt ausschließlich Predigten Luthers, wofür er die Mitschriften Georg Rörers (1492–1557) benutzte. Bei einer Bewertung der Postillen muss somit immer bedacht werden, dass es sich um überlieferte Quellen mit unterschiedlicher Authentizität handelt und sich dadurch ein ungenaues Bild von den Predigten Luthers ergibt. Trotz allem waren die Hauspostillen für das Fortbestehen des evangelischen Glaubens – wie auch die deutschsprachigen Lutherbibeln – in der Zeit des Geheimprotestantismus von großem Wert: Als die Ausübung des evangelischen Glaubens in den österreichischen Ländern verboten war, halfen sie die Lehre Luthers im Verborgenen weiterzugeben.
Eine unvollständige Ausgabe einer Hauspostille mit Predigten von Martin Luther (ÖMV/13.658) kam 1903 mit der Sammlung Alexander Hausotter in das Volkskundemuseum. Ihr früherer Verwendungsort lag im mährischen Kuhländchen (Kravařsko, Tschechische Republik). Die reformatorische Bewegung Martin Luthers hatte auch auf Mähren Einfluss, insbesondere auf die deutschsprachige Bevölkerung. Das Titelblatt und andere Herstellerhinweise der Hauspostille fehlen. Ein Vergleichsobjekt aus dem Jahre 1571 lässt aber den Schluss zu, dass es sich um eine Ausgabe handelt, die von Andreas Poach zusammengestellt und von Donat Richtzenhan in Jena gedruckt wurde. Der Ledereinband ist mit Blinddrucktechnik verziert. Die verwendeten Motive entsprechen anderen zeitgenössischen Druckwerken aus Jena.
Das Werk ist mit zahlreichen unsignierten Holzschnitten illustriert. Die Darstellung auf den Blättern mit den Innentiteln „Sommer Teil der Hauspostillen/Doctoris Martini Lutheri“ sowie „Das dritte Theil der Hauspostillen Doctoris Martini Lutheri/von den fürnemsten Festen durchs Jar/nach der Wittenbergischen Kirchenordnung“ ist hingegen von einem, bisher nicht bekannten Meister, mit „A F“ monogrammiert. Auf diesem Holzschnitt sind Herzog Johann Friedrich I. von Sachsen (1503–1554) und Martin Luther abgebildet. Beide knien gemeinsam im Gebet unter dem Gekreuzigten.
Im linken Bildteil ist über Johann Friedrich I. das Wappen des als sächsischer Kurfürst und Herzog Geborenen abgebildet, der ein eifriger Förderer der Reformation und Gönner Martin Luthers war. Darauf bezieht sich sein Beiname der Großmütige. Im Zuge seiner Niederlage im Schmalkaldischen Krieg verlor er 1547 allerdings seine Kurwürde und musste einen Großteil seiner Territorien an seinen Cousin Herzog Moritz von Sachsen abtreten. Im rechten Bildteil ist in Kopfhöhe des Reformators die sogenannte Lutherrose dargestellt. Johann Friedrich I. selbst hatte den Siegelring in Auftrag gegeben und 1530 Martin Luther auf der Veste Coburg überreicht. Vom Reformator als Zeichen seiner Theologie und seines Glaubens als Siegel für seinen Briefverkehr verwendet, wurde die Lutherrose zum bekanntesten Symbol der evangelisch-lutherischen Kirche.
Den gedruckten Marginalien an den Seitenrändern ist manchmal ein handschriftlicher Kommentar hinzugefügt worden. Auf einigen Seiten weisen sogenannte Zeigehände auf wichtige Textstellen hin. Die Symbole finden sich in unterschiedlichen Größen gedruckt und wurden später durch eingezeichnete ergänzt. Die wenigen handschriftlichen Einträge lassen keinen Aufschluss auf den Vorbesitzer oder die Vorbesitzerin beziehungsweise auf einen genauen Verwendungsort zu. Ein handschriftlicher Namenseintrag „Daniel Wrzalik 22 Jahre […]“ auf dem rückwärtigen Vorsatzblatt ist mit der Jahreszahl 1652 datiert. Anhand der Blattnummerierung wird die Unvollständigkeit des Werks schnell ersichtlich.
Die Hauspostille aus dem Kuhländchen wurde bereits beim Eintrag in das Inventarbuch des Museums als „sehr defect“ beschrieben. In der Tat waren nicht nur konservatorische, sondern auch restauratorische Maßnahmen nötig. Der alaungegerbte Schweinsledereinband war verschmutzt und nicht mehr vollständig erhalten. Die Hanfbünde erwiesen sich als desolat. Einzelne Seiten des Buchblocks waren lose, viele eingerissen oder abgestoßen. 2012 ergab sich die Möglichkeit durch die Initiative von Soroptimist International Österreichische Union und private Geldmittel eine Restaurierung in Auftrag zu geben. Dadurch konnte die Hauspostille in der Sonderausstellung „Weihnachten – noch Fragen?“ 2012/13 erstmals den Museumsbesuchern und -besucherinnen präsentiert werden. Im Zuge der Restaurierungsmaßnahmen wurden unter anderem der Ledereinband und der Buchblock mechanisch gereinigt und schadhafte Stellen ergänzt. Die Bünde, also die Verbindungen vom Buchblock zum Ledereinband, mussten mit neuem Hanf unterstützt werden. Der Nassbehandlung der Buchseiten folgte das Angießen der Fehlstellen mit Papierbrei. Dadurch konnte die Stabilität wiederhergestellt werden, die nun eine optimale Benutzbarkeit der Postille erlaubt.
Nora Witzmann
Die einzelnen Seiten der digitalisierten Hauspostille können über die Volltextsuche mit folgenden Stichwörtern gefiltert werden: Innentitel, Holzschnitt, monogrammiert, Zeigehand, handschriftlich*, Marginalie*, Unterstreichung*, Absatztrennlinie*, Blattzahl. Außerdem kann man nach einzelnen Begriffen aus den Kolumnentiteln suchen. Diese Titel wurden in Originalschreibweise erfasst, lediglich die Wortabstände wurden vereinheitlicht.
Scans der Buchseiten: EMD Elektronische und Mikrofilm-Dokumentationssysteme Ges.m.b.H.
Webpräsentation: Elisabeth Egger
Mai 2017
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Elisabeth Egger
elisabeth.egger@volkskundemuseum.at
Wegen der anstehenden Sanierung des Museums können nur mehr Anfragen nach bereits bestehenden Digitalisaten bedient werden.
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