Die unveränderliche Schrift und das Leben der Deutung

Wie Judentum und Christentum basiert auch der Islam auf einer „heiligen Schrift“, dem Koran.
Dieser wurde nach islamischer Überlieferung dem Propheten Mohammed innerhalb von 23 Jahren offenbart, von ihm gesprochen und von seinen Gefährten niedergeschrieben. Es handelt sich also nicht, wie im Judentum und Christentum, um einen komplexen Schriftkanon unterschiedlicher Verfasser aus unterschiedlichen Jahrhunderten, sondern alles – einschließlich der christlich-jüdischen Erzählungen, die in den Koran aufgenommen wurden – ist in dem einen Text vereint. Dieser ist wiederum offiziell in einer einzigen Redaktion, jener des dritten Kalifen Uthman (644-656), überliefert.

Mit der kanonischen Fixierung der Schrift geht in den abrahamitischen Religionen die Notwendigkeit der Erklärung und Auslegung einher. Einerseits erklärt die Koran-Exegese (Tafsir) den mitunter schwer verständlichen Wortsinn einzelner Verse philologisch, durch Querverweise innerhalb des Koran, durch Rückgriff auf Hadithe (Überlieferung der Aussprüche und Handlungen des Propheten) sowie durch Zuordnung zu historischen Offenbarungsanlässen. Andererseits muss eine heilige Schrift, die in einer völlig anderen historischen Epoche entstanden ist, von jedem und jeder Gläubigen „gelebt“, in die eigenen Lebensverhältnisse übertragen und hier mit Sinn erfüllt werden.

Fragt man die muslimischen Schüler*innen nach der Notwendigkeit der „Deutung“ des Koran innerhalb der heutigen Lebensverhältnisse, antworten sie – mit großer Vorsicht – meist einmal nur mit Verweis auf die Unveränderlichkeit der Schrift. Fragt man sie aber nach der Übertragung ins eigene Leben, zeigen sie ihre Selbstverantwortung innerhalb der gelebten Religion und ihren kritischen Sinn gegenüber der Inanspruchnahme des Koran durch andere Muslim*innen.

Entsprechend der kulturwissenschaftlich-sozialanthropologischen Ausrichtung des Projekts geht es hier nicht um die theologische Korrektheit von Äußerungen über die Koran-Exegese.

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